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Archiv-Artikel

Bauhaus des 21. Jahrhunderts

Ein Gebäude, das souverän neben den Funktionsgebäuden der Zeche Zollverein steht, aber schwer fassbar in seiner monumentalen geometrischenForm ist: In Essen wurde die von dem japanischen Architekturbüro Sanaa entworfene „Zollverein School of Management and Design“ eröffnet

von MICHAEL KASISKE

Currywurst, Pfifferlingsquiche und roher Thunfisch wurden gereicht, nachdem die Grußworte zur Eröffnung des Gebäudes der Zollverein School of Management and Design verhallt waren. Das kulinarische Angebot schien das eigenartige Stelldichein in dem großen Betonwürfel widerzuspiegeln: In der vom japanischen Architekturbüro Sanaa entworfenen Hülle war das proletarische Ruhrgebiet ebenso anwesend wie sein Wandel von der Industrie- zur Eventkultur repräsentiert war.

Der Baukörper folgt in Maßstab und Form den nahen Funktionsgebäuden der Zeche Zollverein, die 1932 nach dem Entwurf von Fritz Schupp und Martin Kremmer vollendet wurde. Bis ins letzte Detail hatten die Architekten seinerzeit die Stahlrahmenkonstruktion optimiert und ein einzigartiges Beispiel für strikten Funktionalismus geschaffen, dem die Unesco das Prädikat „Weltkulturerbe“ verlieh. Daran maßen sich die Architektin Kazuyo Sejima, 50, und ihr Kollege Ryue Nishizawa, 40, die seit 1995 als Sanaa firmieren. Gemäß ihrem Motto „It is all about process and context“ entwarfen sie eine Landmarke, die in Nachbarschaft zu den Bergwerksbauten souverän daherkommt, in Hinblick auf die Wohnhäuser auf der anderen Straßenseite durch seine monumentale geometrische Form und unregelmäßig verteilten Fensteröffnungen im Maßstab aber schwer fassbar ist.

Die noch leeren Räume wirken überraschend licht. Die angestrebte Transparenz wurde mittels zahlreicher, nach Ein- und Ausblicken komponierter quadratischer Öffnungen erreicht, die mal an der Fußbodenkante sitzen, mal mitten in der Wand, dann wieder in einer Raumecke; eines rahmt durchaus würdevoll etwa die auf ihren Ellenbogen ruhende Beobachterin im Fenster des gegenüberliegenden Hauses.

Am stärksten wirken die Öffnungen im Seminarraum auf dem ersten Level. Der durchweg perforierte Saal, der die gesamte Grundfläche von 35 Quadratmetern einnimmt, mit einer stolzen Raumhöhe von zehn Metern, ist schlicht ein berauschendes Erlebnis. Schwer vorstellbar, dass sich hier demnächst die maximal 36 gleichzeitig für den MBA-Studiengang „Business Design“ eingeschriebenen Studenten beim gemeinsamen Unterricht verlieren werden.

Der Raum erweckt Assoziationen an das japanische Teehaus, abgeschirmt vom Unbill der Außenwelt. Ein vor allem atmosphärisch wirkendes Gesamtkunstwerk, das sich in kleinsten Details und Gesten vollendet, hatte Sanaa vermutlich vor Augen – und würde daran scheitern, offerierte das Gebäude nicht genügend Platz für seine Aneignung durch die postgraduierten Studenten, die mal Krawatte und mal Baggys tragen mögen, heute im kleinen Schwarzen eine gute Figur machen und morgen in den Pausen den Nachwuchs stillen. Der Lehrsaal war ein Vorschlag der Architekten, der freilich dem scheidenden Gründungspräsidenten Ralph Bruder zufolge sofort als „kreatives Herz“ der Schule erkannt wurde. Offensichtlich bot der „weiße Würfel“, der 2002 im Wettbewerb zur Realisierung gewählt wurde, genug Potenzial, dem bis dahin unklaren Schulkonzept Form zu geben. Die Schulgründung ist ein Schritt für die Transformation dieses Ortes. Auf der Zeche Zollverein soll nach dem Masterplan von Rem Koolhaas/OMA zukünftig ein Standort etabliert werden, an dem die einstige industrielle Wertschöpfungskette durch die Verbindung von Ökonomie und Gestaltung fortgesetzt wird. Auf den siegreichen Entwurf von Sanaa für die Erweiterung des Bauhaus-Archivs in Berlin anspielend, spricht der neue Präsident, der Designer Andrej Kupetz, vom „Bauhaus des 21. Jahrhunderts“. Für einen solchen Rekurs ist das Profil der Schule derzeit allerdings noch zu blass.

Auch die Reverenz einiger Gäste an Ludwig Mies van der Rohe verwunderte. Die Räume in der Zollverein School unterscheidet ein wesentlicher Punkt: Aller schönen Aussicht zum Trotz erzeugen sie einen Eindruck von Abgeschlossenheit, anders als die Räume des deutschen Architekten, der die Grenze zwischen Innen und Außen überwand, wie es Jenny Holzers Installation in der Berliner Nationalgalerie 2001 einmal mehr deutlich machte.

Ganz im Hier und Jetzt hingegen sind auch die nur 25 Zentimeter dünnen Betonwände des Gebäudes. Ihre fragile Eleganz ist dem Grubenwasser geschuldet, das fortwährend aus etwa eintausend Meter Tiefe abgepumpt wird, um die ruhende Zeche nicht volllaufen zu lassen. Das etwa dreißig Grad warme Wasser wird nun in einem ausgeklügelten Röhrensystem durch die Außenwände geleitet und schützt die Innenräume vor den Außentemperaturen.

Solche Innovationen waren dem Bauminister des Landes wohlfeiles Beispiel für die Förderung regionaler Baukultur, die seit dem Regierungswechsel 2005 heruntergefahren wird. Der immer wieder gehörte, inzwischen freilich etwas fehllautende Grubenspruch „Glück auf!“ ließ vermuten, dass der Abschied von der Vergangenheit schwerfällt. Dafür entsprach die wundersam gemischte Kost der Mannigfaltigkeit des Raumkonzepts, das über NRW und Deutschland hinaus wirken könnte. Insofern lässt sich kein besseres Veranstaltungsgebäude für Essen als „Kulturhauptstadt Europas“ im Jahr 2010 vorstellen. Andeutungen in diese Richtung gab es bereits.