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Archiv-Artikel

Musikalische Blickwechsel

Reisen öffnet die Horizonte und schafft neue Blickwinkel, auch auf sich selbst, was manchmal gerade damit zusammenhängt, dass die Welt kleiner wird in ihren Möglichkeiten. In den Plattenläden etwa, in denen man auch anderswo gern vorbeischaut, weil man immer Entdeckungen machen kann. An so einem Ort aber schrumpft alle Fülle halt auf das Format, das in den Regalen Platz hat, im Spiel vom Angebot und Nachfrage, das bei einer Stichprobe jüngst in einem Plattenladen in Odessa in der Ukraine die Auswahl aus deutscher Perspektive auf eine CD 1.) von Modern Talking und 2.) von Dunkelwerk verknappte. Modern Talking kennt man. Dunkelwerk vielleicht nicht. Dabei handelt es sich um sogenannte „Endzeit Electro“, bei der Klimperelektronik mit Marschmusik und einer schnarrenden Feldwebelstimme aufgemöbelt wird. Es rührt einen aber schon seltsam an, in einem Plattenladen in Odessa auf einem „Troops“ geheißenen Album Songtitel wie „Die schwarzen Jahre“ und „Gegen die Flak“ zu lesen, mit denen man mitten in einem Landser-Heft steht. Wobei das hier verhandelte Deutsche Reich in seiner Götterdämmerung in den Texten doch so bedeutungsoffen formuliert ist, dass Dunkelwerk sicher auf jeder Seite steht.

Ist das jetzt schon Nationalismus, wenn man sich in dem Plattenladen ein wenig grämt, dass als einzig nennenswerte musikalische Positionen hier nur Modern Talking und Dunkelwerk für Deutschland stehen und nicht so ein schickes Modell wie etwa Franz Ferdinand für das Königreich? Gab es auch zu kaufen, in einer eigens für den ukrainischen Markt bereitgestellten Version für umgerechnet vier Euro. So wie die CD von Dunkelwerk.

Eine deutsche Band, die es wirklich verdient hätte, in jedem Plattenladen dieser Welt mit mindestens einem Exemplar vertreten zu sein, ist Embryo. Schon deswegen, weil die auf einer nun mehr als 40 Jahren dauernden Reise einfach überall gespielt haben in der Welt, in einem immerwährenden Wandel, in dem man sich vom Krautrockjazz durch alle möglichen Traditionsmusiken improvisierte, die man am Wegesrand fand. Hunderte Musiker wurden dabei durch de Band geschleust, übrigens auch Nick McCarthy, der seine musikalische Lehre bei den Münchner Musiknomaden absolvierte, bis er später mit Franz Ferdinand erfahren durfte, dass man mit Musik doch in die Hitparaden kommen kann. Nur halt Embryo nicht, die das ja gar nicht wollen. Die wollen nur spielen. Unterwegs sein. Horizonte öffnen. Ab Montag wieder auf einer im Kreuzberger Edelweiß startenden Tour durch Berlin, bei der bis Anfang September in zwölf Konzerten wirklich jedes nur verfügbare Hinterzimmer bespielt wird. THOMAS MAUCH

■ Tourdaten: www.embryo.de