ausgehen und rumstehen : Mit Feuer in der Nase und Beklopptem im Ohr: ein Exultet auf Kraxler und Gummifetischisten
Für mich altmodisches Ding ist es ja noch immer so verwirrend, dass man am Schlesischen Tor seit einiger Zeit nicht mal mehr eben abends eine dönerstinkige Bierdose holen kann, ohne gleich auf siebzehn Cluberöffnungen, fünf Vernissagen und eine Stimmung wie früher bei der Popkomm zu stoßen. Freitag beispielsweise sang Angie Reed irgendwelche pittoresken Songs in dem Laden neben dem Mysliwska. Danach hüpften Transen (oder als Transen verkleidete Menschen) in Turnanzügen zu Playbacks herum. Bis auf die Straße fanden’s alle prima, nur nicht zwei höchst angeschickerte Solarium-Tussen in geilen, arielweißen Stretchoutfits.
„Ick stell mir auch gleich dahin und singe!“, drohte die eine. Die andere klemmte sich bei ihrem bulligen Kumpel unter und fing tatsächlich an, „Kreuzberger Nächte sind lang“ zu skandieren, ein Lied, mit dem sie sicher früher von ihrem Vater in den Schlaf gesungen wurde. Das erinnerte mich wiederum an eine lustige Karnevalsparty vor, na ja, zig Jahren, bei der mein alter Kumpel Olly und ich uns als zwei der Gebrüder Blattschuss verkleidet hatten und diesen auch damals schon unsäglich bekloppten Ohrwurm vortrugen.
Mit Olly war ich dann am Sonntag zu unchristlichster Zeit zum Flohmarkt am Mauerpark (Verkaufen!) verabredet. Aber ich greife vor. Zuerst musste ich noch den Samstag über die Bühne bringen, was nicht so einfach war mit einer drohenden Sinusitis. So heißt es auf meiner Medikamentenpackung, daneben ist ein schematisches Menschenkopfprofil abgebildet, in dessen Nasennebenhöhlen zwei rote Feuerstränge glühen. Au weia, das kann ich ja so was von bestätigen!
Ich schleppte mich am frühen Abend trotzdem tapfer ins „RAW“ an der Revaler Straße – auch so ein Ort, den man immer wieder wahrnimmt und doch nie testet. Dort fand das „Trashcave“-Festival statt. Und eins muss man diesen Wavern (so hießen sie bei uns; laut einschlägiger Medien werden sie auch Gothics oder Grufties genannt) ja lassen: Die geben sich immer viel Mühe mit ihrem Outfit, bevor sie aus der Höhle kraxeln. Das ist sympathisch. Dagegen muss man sich nur mal den Prenzlberg-Slacker angucken: weite Hose, Nichts-Frisur – oder doch das neue „Out of bed“ von Studio Line? O. k., sieht natürlich meistens trotzdem besser aus.
Aber es hat etwas, wenn um sechs Uhr abends kalkweiß gemalte Gesichter unter schwarz-pink gefärbten, aufwändig aufgetürmten Haaren herumlugen: Ob wohl jemand ein neues Skelettdesign spazieren trägt? Jedenfalls bildeten sie einen schönen Kontrast zu den verschwitzten Viertelstarken, die totcool mit ihren Boards auf den Halfpipes und Trainingstreppen in der dortigen Skaterhalle herumsausten. Da wurde keine Miene verzogen, nicht mal bei einem direkten Sturz auf den iPod.
Weil mich die Trashcave-Bands aber nicht richtig anmachten, fand ich anhand meiner Taschentuchspur das Auto wieder und ging lieber früh zu Bett. Um am Sonntag dann früh wieder das alte, warme, sich nie ändernde Flohmarktverkaufserlebnis zu haben: Am Anfang will man noch viel Geld für alles, man ist müde und aufgekratzt gleichzeitig, mit der Zeit wird einem alles immer scheißegaler, und um drei schmeißt man seine Original-60er-Eierkocher schon verzweifelt irgendwelchen Hippiepärchen hinterher, um den Plunder bloß nicht wieder einpacken zu müssen.
Olly, der im wahren Leben angeblich Bandmanager ist, vertickte eine ganze Kiste Promoplatten für sinnbildlich einen Appel (und nicht mal ein Ei) an einen zwielichtigen Typen, der behauptete, es ginge ihm eh nur um die Cover … Mein größter Coup war das kaputte aufblasbare Sofa, das in einer Pfütze unter unserem Stand lag und aussah wie ein Haufen schmuddeliger, durchsichtiger Mülltüten. Thank god für Gummifetischisten!
JENNI ZYLKA