: Zeichen und Wunden
Mainstreamspaß oder Extremsport der Seele? Die Ausstellung „Signs & Surfaces“ spürt im Berliner Künstlerhaus Bethanien den wechselnden Tattoo-Szenen mit Fotoporträts seit den 60er-Jahren nach
VON BRIGITTE WERNERBURG
Ein Sommerthema. Denn Hitze und leichte Kleidung legen sie frei, die Zeichen auf der Haut, die wenigstens so kunst- wie schmerzvoll ornamentierten Oberflächen. „Signs & Surfaces“: Eigentlich kein Thema mehr, schließlich hat doch jeder eins, ein Tattoo. Die Jungen und Schönen am See. Die Schönen und Reichen in den Lifestyle-Magazinen. Was also gibt es dazu noch zu sagen? Christoph Tannert hat sich trotzdem an das Thema „Signs & Surfaces“ herangewagt. Er kann es guten Gewissens tun. Denn seine drei im Künstlerhaus Bethanien ausgestellten Künstler, die Fotografen Andreas Fux, Ali Kepenek und Herbert Hoffmann geben auf ganz unterschiedliche Weise einen einigermaßen beispiellosen Einblick in die Praxis der kunstvollen Körperverletzung.
Herbert Hoffmann, 1919 in Freienwalde/Pommern geboren, wurde noch in Zeiten groß, in denen das Tattoo als Stigma galt und höchstens dem Seefahrer-, Knast- oder Schaustelleradel vorbehalten war. Fux und Kepenek, der eine 1964 in Ostberlin, der andere 1968 in der Türkei geboren, wuchsen dagegen in einer Zeit auf, in der die Tätowierung Trend wurde, zum regelrechten Statussymbol. Gegen die allgemeine Mainstream-Markierung rüsteten die Gruppen, die das Tattoo noch vor kurzem in ihrem Alleinbesitz wähnten, daher gehörig auf. Branding ist eine verschärfte Version; Ultima Ratio aber sind Methoden, plastische Körperbilder zu erzeugen, sei es durch Scarification, wulstig auf der Haut sich abhebende Ziernarben, sei es durch unter die Haut geschobene Implantate.
Solch extreme Body-Art dokumentiert Andreas Fux. Täuschend harmlos beginnt zunächst der Zyklus seiner Aufnahmen. Ein kunstvoll gearbeitetes Tattoo zieht sich vom linken Bein quer über den schönen Körper von „Peggy, Berlin, 2006“ zu ihrem rechten Arm, und nur das neckisch in die Schamlippen geheftete kleine Kreuz macht stutzig. Bei „Oli, Berlin, 2004“ und „Oli, Berlin, 2006“ wird die Obsession dann schon richtig deutlich, wie er sich die Haut des kahl geschorenen Kopfs, des Gesichts, der Brust und dazu der Ohren mit Einwegnadeln durchstößt und ornamentiert. (Wie eigentlich rasiert er sich den Schädel?) Von der völlig ungehemmten Faszination am Schmerz aber spricht endlich „André, Berlin, 2005“ mit seinem scheinbar so reinen Engelsgesicht. Denn schnell fallen, vom Körpertattoo und dem Nasenpiercing abgesehen, ein kunstvoll amputiertes, nun dreigezacktes linkes und ein per Ring durchstoßenes und vergrößertes rechtes Ohrläppchen auf.
André aber ist nicht nur blutjung, er ist auch blutüberströmt infolge des rasanten Gebrauchs der Rasierklinge im Dienst der hohen Kunst der Selbstverletzung. Christlich mutet sein Martyrium an, dabei blasphemisch, keck und ungeheuer fashionable, in einer Inszenierung, die Irving Penn abgeschaut scheint. Denn ort- und zeitlos treten Fux’ Modelle vor den weißen Hintergrund, ins helle, nicht lokalisierbare Licht. Auf ewig schön, auf ewig jung, auf ewig besessen von ihrer Lust am Schmerz, ja, ihrer Sucht nach dem Schmerz. Ihr begann auch „Albrecht Becker, Berlin, 1995“ zu huldigen, nachdem ihn die Nazis aufgrund seiner Homosexualität ins Gefängnis warfen. Würdevoll steckt der 89-Jährige in seiner indigoblauen Haut aus verwaschenen Tattoos wie in einem abgetragenen, aber geliebten Anzug. Konsequent beschließt das Bild des alten Mannes Andreas Fux’ Fotozyklus.
Albrecht Beckers Bild könnte auch Teil der Sammlung von Herbert Hoffmann sein. Von Jugend an war der Kaufmann von Tattoos fasziniert, doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg traute er sich, seiner Obsession zu frönen. Als schließlich weithin bekannter Hautstecher begann er Mitte der 60er-Jahre seine Kunden und deren Tätowierungen zu fotografieren. Rund vierhundert Modelle, zwischen 1878 und 1952 geboren, versammelte er in seiner privaten Galerie. Sie gilt, nun veröffentlicht, als Gegenentwurf zu August Sanders „Menschen des 20. Jahrhunderts“. Die sich da vor und hinter der Kamera trafen, waren noch Eingeweihte. Noch umgab ein Geheimnis das verfemte Tun. Hoffmann ging es um die Dokumentation, um genaue Angaben zur jeweiligen Person und deren spezieller Passion. Eine künstlerische Absicht verfolgte er mit seinen Fotografien nicht. Aber ausgerechnet seine strengen Schwarzweißaufnahmen offenbaren, wie im Tattoo die Seele spricht.
Auch in Ali Kepeneks Fotografien sind Tätowierungen Ausdruck eines Lebensgefühls – das man freilich Lifestyle nennen muss. Willkommen im Mainstream. Die coole Körperdeko meint nicht die Grenzüberschreitung als vielmehr den gängigen Narzissmus. Kepenek war ehemals Türsteher des Tresors und anderer heißer Hauptstadtclubs. Heute stehen Cameron Diaz, Dennis Hopper oder Franka Potente vor seiner Kamera. Ganz bewusst unterläuft er die Glamourfotografie, die er in Perfektion beherrscht, in seinen rauen und unsentimentalen Aufnahmen, die das Gewöhnliche der Tätowierung betonen. „Antiware“, wie Walter Benjamin einst das unwiderruflich gesetzte Tattoo als progressives, avantgardistisches Zeichen pries, ist es hier definitiv nicht mehr.
Bis 20. August, Katalog 10 Euro