: Möglichst schnell glücklich
VON MARTIN REICHERT
Liebe? Das ist doch Kitsch.“ So diktierte es Marlene Dietrich dem kürzlich verstorbenen Maximilian Schell ins Mikrofon, als er sie in ihrer Pariser Wohnung anlässlich einer letzten großen „Documentary“ traf. Das Fazit einer Frau, die ihre Brötchen als Schauspielerin und Sängerin nicht zuletzt mit der Sehnsucht der Menschen verdient hatte. Mit Filmen über die Liebe, mit schmalzigen Chansons, „Falling in Love again“.
Kitsch also – und sie müsste es ja wissen, wenn Niklas Luhmann mit seiner These recht hatte, dass Liebe nichts anderes ist als eine Gefühlsdeutung, die auf Kommunikation beruht. Auf Filmen und Musik, auf Büchern. Andere sagen, die Liebe sei ein Geschenk. Oder Gott. Der moderne Mensch hingegen weiß gar nicht, ob es sie überhaupt gibt. Einigkeit besteht paradoxerweise nur darin, dass sie zu selten ist.
Die Liebe, sie scheint aus der Welt zu verschwinden, so die Klage, was allerdings eher an den Erwartungen liegt, die man an sie stellt. Anders gesagt: Die Liebe wird permanent überstrapaziert, weil sich die Menschen an sie klammern wie an einen Rettungsring im kalten, dunklen Ozean.
Die Liebe soll alle Defizite und Nöte ausgleichen, die uns zu schaffen machen und denen wir zugleich nicht entgehen können. Der Mensch ist gefordert, all seine Energien effizient in den Wirtschaftskreislauf einzuspeisen – immer auf dem Sprung, immer bereit, in die nächste Stadt zu ziehen und auch abends und am Wochenende auf Standby, sowieso.
Liebe ist … ein Termin
On top gilt es, gesund zu sein und glücklich – aber nur in einem Rahmen, der das Arbeitsleben nicht beeinträchtigt, also möglichst schnell. Wie soll das nun funktionieren? Die Liebe wird in einer solchen Umwelt zu einem Termin: Sie ist wichtig als integrierender Faktor eines gelungen Selbst, aber wirklich Zeit hat man nicht dafür.
Doch wie kann Liebe allumfassend sein, wenn sie zu einer Bedürfnisanstalt erschöpfter Individuen verkommt, die Zweisamkeit als einzig verbliebene Rettung vor sich selbst begreifen? Kann das gut gehen, wenn zwei Menschen aufeinandertreffen, die von ihrem Gegenüber stets etwas erwarten – ohne die Kraft zu haben, etwas zu geben?
Moderne, das ist die Auflösung von Zusammenhängen, die Entstehung eines Sinnvakuums. Doch im Nichts lässt es sich schlecht leben – und so bleibt allein die Liebe übrig, die alles retten soll. Mit kühlem Blick betrachtet wird schnell augenscheinlich, dass das Projekt „Liebe“ wenig aussichtsreich erscheint. Wie soll das funktionieren? Wie kann es gelingen, einen Menschen „für immer“ – dies der hehre Anspruch – in sein Leben zu integrieren, obwohl man weiß, dass sowohl das eigene Selbst als auch das des Gegenübers permanenten Veränderungen unterliegt. Am Ende steht dann meist der Satz: „Du bist nicht mehr der Mensch, in den ich mich mal verliebt habe.“
Kein Wunder, dass es so viele Singles gibt. Die können sich die Liebe dann abends im Fernsehen anschauen. In Form von Produktwerbung zum Beispiel – Love sells. Sei es mit Liebe gekochte Marmelade oder solche vom Lande, die als Milch in Glasflaschen gefüllt wird.
Nicht zu vergessen all die Hilfsmittel, die man kaufen soll, um am Ende doch noch jemanden abzubekommen. Balz-Accessoires von der aufhellenden Zahncreme bis zum aphrodisierenden Deodorant. Oder geht es da nur um Sex?
Seit ungefähr einem Jahrzehnt gelten Singles als böse und egoistisch. Die westlichen Länder machen sich Sorgen um die Demografie, Nachwuchs muss her. Sex um des Sexes willen ist nicht erwünscht, aber ohnehin ist auch dieser knappe Ware.
Die Nichtsingles wiederum, also solche Menschen, die in festen Partnerschaften leben oder gar den Bund der Ehe eingegangen sind, haben auf der Grundlage des Geschlechtsverkehrs ein zwischenmenschliches Bündnis etabliert, das den Anspruch der Liebe einlösen soll. Für immer, möglichst, und besiegelt oft mit der Frucht ihrer Leiber, Kindern also.
Nur: Gibt es den Sex, also das Fundament, auf dem diese Liebesbeziehungen einst errichtet wurden, eigentlich noch nach einer gewissen Zeit? Und wenn nicht: Ist etwas anderes an diese Stelle getreten? Eine Zuneigung und Verbindung, die wie ein Baum gewachsen ist und Halt vermittelt?
Liebe ist … egal
Aus anthropologischer Sicht hielten die allermeisten Kulturen dieser Erde die Liebe als Grundlage einer Ehe für entbehrlich – und bis vor ein paar Jahrzehnten war die Polygamie auf diesem Planeten vorherrschend. Und heute? Wollen wir an die totale Verknüpfung von Liebe und Sexualität glauben. An Monogamie, lebenslange Treue. Doch die Scheidungsraten steigen und im Untergrund wird fremdgevögelt, was das Zeug hält.
Die Liebe, sie verschwindet, weil wir mit ihr nicht die Liebe meinen, sondern meistens nur uns selbst. Der Mensch will Geborgenheit. Will sich mal fallen lassen können. Er will ein Zuhause haben, Zärtlichkeit bekommen und auch guten Sex. Das alles soll aber bitte so vonstatten gehen, dass man nicht gefordert oder belästigt wird. Die Liebe soll nicht stören im Prozess der Selbstverwirklichung, oder, um es mit den Worten der verstorbenen Hildegard Knef zu sagen: „Für mich soll’s rote Rosen regnen. Will nie allein sein, und doch frei sein.“
Manchmal ist das Leben vielleicht genau so wie in einem schnulzigen Schlager. Manchmal? Wenn es um die Liebe geht, dann glotzen die Menschen gerne romantisch, frei nach Brecht. Da sind all diese unmöglich abgedroschenen Sätze, mit denen man es zu tun hat. „Ich habe dir die besten Jahre meines Lebens geschenkt.“ „Ich liebe dich wie du bist. Aber du musst dich ändern.“ „Jetzt, nach all den Jahren, weiß ich, dass ich dich nicht liebe.“ „Du warst mir immer schon zu jung.“
Vom Ende her betrachtet, also vom Liebeskummer aus, ist Liebe wirklich nichts als schlimmer Kitsch. Nicht zum Aushalten.
Und doch wagen wir immer wieder den Neuanfang. Mag sein, dass die Liebe verschwunden ist. Aber irgendwo muss sie doch zu finden sein.
■ Martin Reichert, 40, ist sonntaz-Redakteur