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Archiv-Artikel

„Auch der Weg übers Meer ist nicht sicher“

Hilfsgüter erreichen teils nicht mal mehr den Libanon. Care-Sprecher Thomas Schwarz fordert Sicherheitsgarantien

taz: Herr Schwarz, Sie sind seit vergangenem Donnerstag für die Organisation Care in Beirut. Wie ist die Lage für die Hilfsorganisationen im Libanon?

Thomas Schwarz: Wir sitzen hier in Beirut und können nicht so arbeiten, wie wir müssten. Von hier aus können wir zwar planen, aber es scheitert an der Ausführung, weil es keine sicheren Wege gibt, um die Menschen außerhalb von Beirut zu versorgen. Ich lese derzeit oft, das Land stünde vor einen humanitären Katastrophe. Das stimmt nicht. Die humanitäre Katastrophe ist schon da.

Welche Gebiete sind für Hilfstransporte nicht mehr erreichbar?

Im Süden wurden wichtige Verbindungsstraßen, wie etwa zwischen Sidon und Tyrus, durch Bombardements unbefahrbar gemacht. Aber auch auf vielen Wegen und Straßen, die man theoretisch noch befahren könnte, sind keine Hilfskonvois unterwegs, weil es viel zu gefährlich ist. Wir haben keine Garantie, dass unsere Fahrzeuge nicht angegriffen werden. Einige Hilfskonvois wurden schon beschossen. Hilfsgüter werden hier mittlerweile nicht mehr auf große Lastwagen, sondern auf kleine Transporter verladen. Große Fahrzeuge sind „Hisbollah-verdächtig“ und deshalb stärker gefährdet, beschossen zu werden. Wir brauchen hier dringend einen sicheren Korridor für humanitäre Hilfe.

Gibt es in den abgelegenen Orten trotzdem Helfer?

Im Norden arbeiten vor allem libanesische Nichtregierungsorganisationen, deren Mitarbeiter aus der Region stammen.

Wie geht es den Menschen in der Hauptstadt ?

In Beirut ist besonders der Treibstoff knapp. An den Tankstellen stehen die Menschen mit großen Benzinkanistern Schlange. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen. Jeder hat Angst, dass er nichts mehr abbekommt. Die Versorgung durch Tanker ist unsicher, weil die Passage über das Mittelmeer gefährlich ist.

Betrifft das auch Hilfsgüter?

Ja. Aus Deutschland ist zum Beispiel gerade eine Trinkwasseraufbereitungsanlage unterwegs. Damit könnte man 10.000 Liter Wasser pro Tag reinigen. Aber auch für diesen Transport garantiert Israel keine sichere Passage von Zypern über das Meer. Wir wissen nicht, wie wir die Pumpe ins Land bringen sollen.

Was brauchen die Menschen im Libanon am dringendsten?

Wichtig sind vor allem sauberes Wasser, Nahrung und ein Dach über dem Kopf. Im Süden sind viele Menschen obdachlos geworden. Hier in Beirut leben viele Flüchtlinge in Privatwohnungen, die Solidarität ist groß. Andere sind in Schulen untergebracht. Ich habe eine Schule besucht, in der rund 900 Menschen lebten, 20 bis 25 pro Klassenzimmer. Auf jedem Stockwerk gibt es nur eine Toilette und ein Waschbecken, in dem auch die Wäsche gewaschen werden muss. Die hygienische Situation ist furchtbar, regelmäßige Mahlzeiten bekommen diese Menschen auch nicht.

Wie ist die Spendebereitschaft in Deutschland?

Nicht besonders gut. Meine Landsleute sollten die politischen und militärischen Hintergrund des Konflikts außer Acht lassen und auf das Elend der Menschen hier blicken und ein paar Euro spenden.

INTERVIEW: KERSTIN SPECKNER