: Glückliche Radler
Derzeit fährt NRW-Landeschef Rüttgers mit dem Rad durch NRW. Weil es bürgernah wirkt, das Image vermeintlich poliert und den Serotonin-Speicher auffüllt. Über die kleine Koalition Politiker/Rad
VON BORIS R. ROSENKRANZ
Mittwoch ist er losgefahren, mit dem Fahrrad. Erst von Dorsten nach Lembeck, dann durch Bonn, heute folgt das Sauerland. Insgesamt sechs Tage drahteselt Jürgen Rüttgers durch NRW, ein Tag dauert zweieinhalb Stunden. Die Aufgabe: Schwitzige Bürgerhände schütteln, hitzige Kinderwangen tätscheln, die eigene Politik schönreden. 85 Kilometer strampelt der Ministerpräsident bis Montag ab. Stets begleitet von treuen Wählern oder so lustigen Menschen wie Ronald Pofalla. Und am Ende dieser Tour de Rüttgers steht eine Frage, die niemand stellt: Geht sowas ohne synthetisches Testosteron?
Die Antwort: Ja, es geht. Denn der Stoff, der Rüttgers antreibt, ist in der Tat körpereigen und heißt: Serotonin. Als der CDU-Vize vor gut einem Jahr die Wahl in NRW gewann und damit fast 40 Jahre SPD-Herrschaft beendete, wurde das Glückshormon kübelweise in ihm ausgekippt. In solch großen Mengen, dass Rüttgers noch Monate davon zehren konnte. Der Himmel hing voller CDU-Fähnchen, sein Gang war beschwingt, das Leben hatte wieder einen Sinn. Langsam aber leert sich der Serotonin-Speicher. Zumal Erlebnisse fehlen, die ihn wieder befüllen: Die Kritik an Rüttgers‘ Spar-Politik reißt nicht ab, wochenlang eine Demonstration nach der anderen, Machtgemetzel in der Staatskanzlei, und jetzt auch noch Probleme in der eigenen Partei und mit dem kleinen Koalitionspartner FPD. Irgendwann geht‘s halt bergab.
Da kommt eine Radtour mit Freunden gerade recht. Zunächst ist Bewegung an der frischen Luft gesund; das predigen inzwischen selbst qualmende Großstadtärzte. Wichtiger aber: Das Image wird poliert. Eine Radtour wirkt bürgernah, was Politiker nicht mal bestreiten. Nur wird die Bürgernähe als Wert an sich gepriesen, die eigentliche Absicht – positive Presse, Wählerbindung etc. – aber natürlich verschwiegen. Wohlweislich.
Ein kleiner Teil der Bürger findet die Radelei dennoch toll, immerhin darf der kleine Mann/die kleine Frau sonst abgeschotteten Stars so nahe kommen wie nie. Aus den Mächtigen werden kurzzeitig Kollegen: Statt sich in einer Panzerlimu durchs Land kutschieren zu lassen, fahren die Politiker jetzt selbst – auf einem ungepanzerten Fahrrad. Und legen obendrein mit Sakko und Krawatte respektive Hosenanzug bei Frauen die seriöse Machtkluft ab, was die Bürgernähe nochmals multipliziert. Ganz abgesehen davon, welches ökologische Bekenntnis sich dahinter verbirgt, Auto gegen Rad und Chauffeur gegen sich selbst einzutauschen. Vermeintlich zumindest. Oder glaubt ernsthaft jemand an diese auf sechs Tage im Jahr begrenzte Umwelt-Heuchelei? Die Mitradler mal ausgenommen.
Auch wenn es mutmaßlich abschreckt, an dieser Stelle müssen wir über Rudolf Scharping sprechen. Der ehemalige SPD-Bundesvorsitzende war es, der das Rad in der Politik nicht nur einführte, sondern zum Wahlkampfinstrument stilisierte. Bei der Bundestagswahl 1994 posierte der Sozialdemokrat auf überlebensgroßen Plakaten mit Rennrad und Helm. Das sollte sympathisch, nah, nett wirken, außerdem umweltbewusst – geholfen hat es ihm gegen die Zentnerbombe Kohl rein gar nichts. Scharping wollte den CDU-Sesselsitzer mit Dynamik besiegen. Das musste beim entschleunigten Pool-Planscher in einer Bruchlandung enden. Die sich 1996 auf andere Art wiederholte, als Scharping verunfallte. Ausgerechnet mit dem Fahrrad. Ausgerechnet ohne Helm. Sah gar nicht gut aus. Dafür ist er jetzt Präsident des Bundes deutscher Radfahrer.
Zurück: Die Koalition Rad/Rüttgers ist bewährt. Lange bevor er Ministerpräsident wurde, radelte der Christdemokrat durch den Sommer. Auch sein Vorgänger Peer Steinbrück, heute Mehrwertsteuererhöher, nutzte auf seiner NRW-Sommertour zuweilen das Rad, wie etliche andere Kollegen. Das Blöde daran: Wer will schon Politiker im Grünen sehen? Die sollen arbeiten! Die Radtour bringt also nichts. Zumindest keine Wähler. Aber wir erinnern uns: frische Luft, Bürgernähe, Schulterklopfen. Das bringt Serotonin bis mindestens Oktober. Wenn es nicht doch noch rauskommt: Testosteron, synthetisch. Kontakt zu Landis. Aberkennung der Bürgernähe.