: Der Kampf um die Städte
GENTRIFIZIERUNG Auf einer kontroversen Podiumsdiskussion der Initiative Haben und Brauchen debattiert man, wie Berlin in der Frage der Freiräume von Hamburg lernen kann – zumindest kooperiert man dort anders
VON ANDREAS HARTMANN
Im Publikum platzte jemand der Kragen. Es war genau in dem Moment, als darüber gesprochen wurde, wie man sich in Hamburg durch den Erwerb von Genossenschaftsanteilen an diesem oder jenem Stadtteilprojekt die von der Gentrifizierung befallene Stadt zurückerobern könnte. Sie sei schon lange nicht mehr auf einer derart unpolitischen Veranstaltung gelandet, sagte die in Berliner linksintellektuellen Kreisen bekannte Theoretikerin und Mitbetreiberin des Ladens b_books, Katja Diefenbach. Sie witterte wohl die „Verbürgerlichung“ der Aktivisten.
Endlich war was los bei der Podiumsdiskussion, zu der die Berliner Initiative freier Künstler, „Haben & Brauchen“, in den Projektraum des Flutgraben geladen hatte. „HH&B“ nannte sich die Veranstaltung – Hamburg & Berlin. Das Ziel: Lernen von den Hamburgern. Dort ist die Umstrukturierung ganzer Stadtviertel schließlich ähnlich Thema wie in Berlin.
Dauerthema Verdrängung
Verdrängung, Verlust von Freiräumen, ungezügelter Anstieg von Mieten, das ist Dauerthema in beiden Städten. Doch während in Berlin oft bloß gejammert, eine Bürgerinitiative nach der anderen gegründet und zu allen Fragen rund um die Stadtentwicklung immer bloß der Soziologe Andrej Holm befragt wird, sind in Hamburg offensichtlich unterschiedliche soziale Gruppen im Kampf um ihre Stadt auch schon mal in Straßenschlachten vereint.
In Berlin scheinen Künstler eher diejenigen zu sein, die die Stadt mit leisem Murren sexy machen, in Hamburg führen sie die sozialen Proteste an – und machen klar, dass sie nicht für das Stadtmarketing missbraucht werden wollen. Und dann sagt die Berliner Intellektuelle: Das, was die Hamburger da aus der Stadtaktivisten-Praxis berichteten, sei ihr einfach zu bürgerlich. In der Folge zeigte sich dann, wie notdürftig dieses Hamburger Bündnis gegen Gentrifizierungsübel zusammengeleimt wurde und welch unterschiedlichen politischen Vorstellungen hier gebündelt werden.
Andreas Blechschmidt, Sprecher der „Roten Flora“, die in den letzten Monaten im Mittelpunkt der sozialen Kämpfe in Hamburg stand, scherte aus der Hurra-Hamburg-Phalanx sofort aus, pflichtete Diefenbach bei und zitierte zum Zwecke der Betonung seiner wahrhaft linken Gesinnung zur Sicherheit noch kurz Marx. Als Sprecher eines linksautonomen Kulturzentrums, das mit dem Slogan „Rote Flora bleibt unverträglich“ den Konfrontationskurs mit der Stadt Hamburg betont, wollte er sich nicht allzu sehr mit den schlichten Ansprüchen auf Teilhabe seitens seiner Mitdiskutanten auf dem Podium und letztlich auch der Berliner Veranstalter von „Haben & Brauchen“ identifizieren.
Blickt man dann nach Hamburg, sieht man: Ja, das Gängeviertel, ein ehemaliges Arbeiterviertel, wurde vor ein paar Jahren von Künstlern besetzt, um es vor dem Verkauf an Spekulanten zu bewahren. Die Stadt Hamburg kaufte es daraufhin erstaunlicherweise zurück und überließ es tatsächlich einer aktivistischen Künstlergemeinschaft. Die ist nun dabei, aus dem Viertel ein gemeinschaftliches Utopia mit Sauna, Fahrradwerkstatt und allem drum und dran zu machen, wie Gängeviertel-Sprecherin Christine Ebeling auf dem Podium erläuterte. Toll, aber bestimmt nicht in dem Sinne wahnsinnig subversiv und politisch, wie sich das ein Rote-Flora-Aktivist so vorstellt, der immer die „kapitalistische Gesamtscheiße“ im Blick haben muss. Die Solidarisierung verschiedener Gruppen in Hamburg scheint aus der Not geboren zu sein. Alle wollen eine Art Milieuschutz – das ist das Verbindende. Sollten die Ziele irgendwann erreicht sein, das Gängeviertel ein blühendes Künstlerparadies und die „Rota Flora“ mit freundlicher Unterstützung der Stadt Hamburg auf immer und ewig den Autonomen zur Verfügung gestellt werden, zerfällt das Zweckbündnis wohl wieder.
Und was lernen wir Berliner nun aus alldem? Wir bräuchten vielleicht mal etwas Vergleichbares wie in Hamburg. Ein besetztes Kulturzentrum in Sahnelage soll Spekulantenträumen weichen, dann geht es auch hier vielleicht ab wie in Hamburg. Okay, das war jetzt ein Witz. Die Abwicklung des Tacheles hat, als es letztlich so weit war, auch kaum jemanden mehr interessiert.