: Bewohnbare Abstraktion
CHOREOGRAFIE „Keine schweren Statements, sondern leichte Verschiebungen“ sucht An Kaler in der Begegnung von Körper und Raum und nutzt Androgynie als Mittel. Vorgestellt in der Reihe Open Spaces der Tanzfabrik
VON ASTRID KAMINSKI
Einer der schönsten Gegen-Sätze zu Descartes’ „Cogito, ergo sum“ stammt vom französischen Philosophen Gaston Bachelard: „Ich denke Differenz, also ändert sich mein Ich.“ Wenn man sich diesen Satz getanzt vorstellt, könnte sich ein Bild wie aus einer Performance von An Kaler einstellen.
Gerade ist ein neues Stück in der Endprobe. An Kaler sitzt auf einem Podest, das die Zuschauertribüne andeutet. Von draußen streift die klare Wintersonne die große Glasfront der Weddinger Uferstudios. Im Gegenlicht sind die Gesichtszüge meines Gegenübers unscharf, der Torso wirkt wie eine schwimmende Silhouette. Die Perspektive stimmt für ein Gespräch über die Durchlässigkeit von Körpern.
An Kaler strahlt eine Ruhe aus, die wie ein Schalldämmer in die Atmosphäre wirkt. Bei der Erbsensuppe in der Kantine war es so, auch bei der Probenbesprechung für „Contingencies“ (Möglichkeiten, Differenzen), dem neuen Stück für fünf Tänzer_Innen und einen Lautsprecher. Die Box steht hier nicht in der Ecke, sondern mitten im Raum. „Das ist mein Körper“, sagt der Komponist Brendan Dougherty. Zum Bühnenteam ist temporär auch eine Grinberg-Therapeutin gestoßen, die das Fallen und „Tauchen“ der Performer_Innen technisch optimieren soll.
Nach „On Orientations“ ist auch das neue Stück als Teil einer Serie konzipiert, die je nach Raum und Mitwirkenden Variationen ausbildet. Bislang hat An Kaler solistisch oder aber mit Leuten gearbeitet, die genau so aussahen wie An Kaler: schmal, zäh, in sich gekehrt und mit der ein oder anderen Topfschnittvariante. Warum sind alle so androgyn?, war dann im Publikumsgespräch die Frage. „Weil ich mich darin reflektieren kann.“ Spielt die geschlechtsuneindeutige Ästhetik des Körpers eine Rolle? „Es geht mir nicht um eine ‚neue Norm‘. Eher darum, durch die queere Ästhetik andere formale Ebenen zu befragen. Zuerst waren es die Differenzen innerhalb einer bestimmten Art von Embodiment, die mich interessierten. Nun sind es mehr die Schnittmengen, die sich je nach Performer ergeben.“
An Kaler spricht viel in Abstraktionen. Es hagelt kulturtheoretisches Vokabular, grafisch-mathematisches Latein mit leichtem Wiener Akzent. Aber es klingt nicht forciert, sondern wie bei einem Zimmermann, der über seine Werkzeuge spricht.
Im ersten Berliner Solo „Save a Horse, Ride a Cowboy“ war die formale Ebene noch von erzählerischen Elementen geprägt. Heuballen, ein Westernsattel, Landschaftsbilder aus Arizona – alles Dinge mit klarer Aussage, die aber nacheinander ihren Status verloren und in eine räumliche Grafik bewegt wurden. Seit dem Cowboy hat es keine Message mehr gegeben, „kein schweres Statement, sondern leichte Verschiebungen“.
„Der Raum als Rahmen“, zu diesem Zugang hat sicher auch An Kalers Weg über das Studium der bildenden Kunst geführt. Körper sind innerhalb der dreidimensionalen Rahmung immer auch Resonanzkörper, können aufgeladen und ausgedünnt werden – Pulsationen im vegetativen Nervensystem des Raums. Gleichzeitig auch Metaphern: In „On Orientations – Untimely Encounters“ nähern sich die Körper von An Kaler und Myriam Lebreton. Begegnung wird über Positionen gesucht. Aber immer, wenn sich der eine Körper ins Verhältnis zur Raumform des anderen denkt, ändert sich die Position des Gegenübers. Eine leise Dramatik entsteht. Durch die Beziehungsästhetik der Körperformen scheinen sich Geometrien der Seele hindurchzupausen.
Ein wichtiges Element dieser Geometrien sind Winkel. Wenn ich an An Kalers Arbeiten denke, sehe ich überall Winkel. Für die Tanz-Publikation SCORES ist einmal eine Collage entstanden, in der An Kaler Winkel zu Streuungen und Bündelungen schichtet – abstrakt, aber irgendwie bewohnbar. Damit kommt Gaston Bachelard noch einmal ins Spiel. Er hat den Winkel in seiner „Poetik des Raums“ als Metapher untersucht. Der Winkel sei eine Zuflucht, die uns den ursprünglichen Daseinswert der Unbeweglichkeit sichert. Er sei aber auch „halb Tür und halb Wand“, eine „Illustration für die Dialektik des Drinnen und Draußen“. Denn in der Unbeweglichkeit, im „Frieden des Rückzugs“, könne sich dann „ein imaginäres Zimmer in unserem Körper aufbauen“.
In An Kalers Arbeiten ist es, als würde ein solches Zimmer aus dem Körper wieder in den Raum befreit. Eine vornehme Entladung von Intimität.
■ „Contingencies“, Uferhallen, 19. 2. 19 Uhr, 20. 2. 11 Uhr, 23. 2. 19 Uhr