: Böse Vögel am Stab
Am Sonntag kämpfen 20 Stabhochspringer im Finale um den Europameistertitel – zwei von ihnen kann Tim Lobinger, der Führende der europäischen Jahresbestenliste, überhaupt nicht leiden
AUS GÖTEBORG SUSANNE ROHLFING
Tim Lobinger wählt Umschreibungen, die deutlicher nicht sein könnten. Unter seinen Konkurrenten im Stabhochsprung-Finale der Leichtathletik-Europameisterschaft gibt es zwei Athleten, die der Kölner Stabhochspringer gern schon in der Qualifikation abgeschüttelt hätte. „Ich freue mich nicht, dass wir jetzt einen Pizzabäcker dabeihaben“, sagt der 33-Jährige gewohnt unverblümt, und der Mann, gegen den man „bei der momentanen politischen Lage“ ja nichts sagen dürfe, gehöre auch nicht gerade zu den „Love-Birds“ der Szene. Die bösen „Vögel“ drängeln sich schon mal vor, stehen im Weg rum, kicken den Guten den Schuh weg oder manipulieren gar die Anlaufmarkierungen ihrer Konkurrenten. Derartige Nickeligkeiten könnten am Sonntag häufig vorkommen, denn auf der Stabhochsprunganlage wird es voll werden.
Der Italiener Giuseppe Gibilisco und der Israeli Alex Averbukh haben wie die drei Deutschen und 15 weitere Athleten einen Platz im Finale erhalten. 20 Springer werden um EM-Gold kämpfen – ein solches Gedränge gab es noch nie. Schuld daran ist der Regen, der am Donnerstag während der Qualifikation das Ullevi-Stadion unter Wasser setzte. Der Wettbewerb wurde abgebrochen, nicht nur wegen der Warnaufkleber auf den Karbonstäben einiger Springer. Bei Blitz und Donner dürften diese Sportgeräte nicht benutzt werden, steht da, es bestehe die Gefahr schwerer Verletzungen. Tim Lobinger hat auch so einen Stab, aber er sagt: „Im Stadion vom Blitz getroffen zu werden, halte ich für sehr unwahrscheinlich.“ Die Stäbe stammten aus den USA, und da habe man ein Faible für Aufkleber dieser Art. „Das ist wie bei Mikrowellen, auf denen steht, man solle da keine Hunde oder Katzen drin trocknen.“ Viel unangenehmer sei die Rutschgefahr. Feuchte Griffe erhöhen die Absturzgefahr.
Als am Donnerstag das skandinavische Gewitter begann, waren die Stabhochspringer gerade bei 5,60 Metern angelangt. Lars Börgeling überflog sie souverän, Lobinger hoffte auf Wetterbesserung und setzte aus und Richard Spiegelburg absolvierte zwei Fehlversuche, die „für diese Bedingungen aber ganz gut“ gewesen seien. Hinter den Kulissen begann dann das große Hauen und Stechen um die Finalplätze. Zunächst sollten alle weiterkommen, die zum Zeitpunkt des Abbruchs noch im Wettbewerb waren. Unter anderem Gibilisco gehörte nicht dazu. Doch sein Verband protestierte, und weil es Athleten gab, die mit einem dritten Fehlversuch über 5,60 Meter insgesamt hinter ihm gelandet wären, rutschten er und einige andere ins Finale. Den schnellen Abbruch begrüßt Lobinger, er bescheinigt den Offiziellen Fingerspitzengefühl. Allerdings hätte der Führende der europäischen Jahresbestenliste die Qualifikation gern fortgesetzt. „Wir saßen bei Kaffee und Kuchen beisammen.“ Man hätte den Regen gemütlich abwarten können. „Ich hätte den Wettkampf gern so lange durchgezogen, bis verschiedene Gesichter von der Bildfläche verschwunden wären.“
Börgeling und Spiegelburg geben sich nicht ganz so streitlustig. Sie halten die Lösung für fair, auch wenn das Finale jetzt zu einer Strapaze wird. Was Lobinger einen „fetten Massenstart“ nennt, könnte vier bis fünf Stunden dauern. Bei erneutem Regen noch länger. „Schon das Einspringen wird sehr anspruchsvoll“, sagt Börgeling. Wenn sich statt der üblichen zwölf 20 Athleten auf der Anlage tummeln, werden im Einspringen für jeden wohl nur zwei Versuche möglich sein. Auf eine straffere Steigerung der Höhen konnte man sich bislang nicht einigen, und so werden die leistungsstärkeren Athleten nach dem Aufwärmen wohl bis zu zwei Stunden auf ihren Einsatz warten müssen.
„Man wird mehr pokern müssen als üblich“, sagt Lobinger, „und wenn die Taktik nicht aufgeht, landet man schnell mal acht Plätze weiter hinten als geplant.“ Bei der EM vor vier Jahren waren Börgeling und Lobinger Zweiter und Dritter geworden, auf ein ähnliches Ergebnis hoffen sie auch in Göteborg. Börgeling sieht dem Marathon-Finale und der möglichen Anhäufung „kleiner Gemeinheiten“ gelassen entgegen. „Da wird mit harten Bandagen gekämpft, jeder versucht, einen Vorteil für sich herauszuholen“, sagt der 29-Jährige und grinst. „Wir versuchen das auch.“