JOSEF WINKLER ÜBER WORTKLAUBEREIFrohe Kunde: Der Kolumnist macht von seinem (vermeintlichen?) Fruchtgenussrecht Gebrauch : Harter Stoff, weicher Säugling
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David Denk
Fernsehen
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Blagen
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Das Tuch
Donnerstag
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Männer
Der nächste freie Servicemitarbeiter wird Sie in Kürze GERNE beraten“, sagt die automatische Frauenstimme. Dabei betont sie das „gerne“ so eigenartig, als wolle sie mich bewusst nicht mit dem aktuell bereits freien Servicemitarbeiter verbinden, weil sie ahnt: Der wird mich ungern beraten, dem ist heute eine Laus über die Leber gelaufen, und der Job hängt ihm eh zu Hals raus. Weil sie meinen leicht aufgeweichten Seelenzustand offenbar spürt, warten wir doch lieber auf einen, der mich gerne berät, was?
Das ist moderner Service. Aber so einfühlsam sich die Automatenfrau gibt, sie wird doch nie wissen, wie es ist, ein Kind zu haben. Gut, ich weiß es selber auch noch nicht en detail, aber der Anfang ist mal sehr hübsch. Jetzt habe ich mich für ein paar Stunden vom Wochenbett nach Hause gestohlen, um noch ein paar Stühle zurechtzurücken, Teppiche auszurollen – und einen Brauch zu pflegen: Wenn ich schon keinen neumodernen Twitterbook-Kram mache bzw. kann – die gute, alte, naturwollene Tradition der Geburtsverkündigungsrundmail incl. Betüdelt-Grinsefoto mit verknautschtem Nachwuchs, die will ich doch weitertragen. Und ausgerechnet jetzt ist das WLAN hinüber.
„Bitte haben Sie noch etwas Geduld“, sagt die Automatenfrau in meine Ungeduld hinein. „Ihr Anruf ist uns wichtig!“ Wartend den rosig-verletzlichen Säugling im Sinn, fällt mir wieder der Text über die Flutopfer in Pakistan ein, der letzte Woche hier in dieser Zeitung erschienen ist, was ich nicht verstehe, und der mich immer noch halb krank macht beim bloßen Gedanken daran. Ein Text, der – vielleicht zum Behuf der Erzielung maximaler edgyness an der Meinungsfront – 20 Millionen in unvorstellbare Not (Floskelalarm; aber haben Sie mal versucht, sich vorzustellen, was da unten los ist? Es geht nicht) geratene Leute – Frauen, Männer, Alte, Kinder, Familien – in Haftung nimmt. In Haftung für ihre schrecklichen Regierungen und diverse Haufen durchgeknallter Fanatiker, von denen sie seit Jahrzehnten ins Hirn gefickt werden. Der eine moralische Handreichung gibt für die schäbigen Rechner, die ein paar zehn Euro, mit denen vielleicht ein Mensch gerettet werden könnte, lieber zu Saturn tragen, bevor’s da unten vielleicht ein korrupter Beamter einsackt. Welches „vielleicht“ wiegt schwerer? Ich weiß nicht, wie ich den Text genau finde. Diffamierend? Heimtückisch? Perfide?
Jetzt hat sie ein Einsehen: „Sie werden mit dem nächsten freien Mitarbeiter verbunden.“ Ah! Da ist Herr Hofmann. Er berät gut und gern. Schon hatte ich befürchtet, ich müsste „meinen“ taz-Platz hier missbrauchen – oder wäre das Nießbrauch gewesen? – um meine frohe Kindskunde an ein paar personal key people hinauszuposaunen.
Aber jetzt geht ja das Netz wieder. Mal flugs ein paar Begriffsdefinitionen nachschlagen. Siehe da: Laut Wikipedia finde ich den erwähnten Text von Deniz Yücel diffamierend, heimtückisch UND irgendwie perfide. Und da: sogar demagogisch! Puh. Harter Stoff. Aber „Nießbrauch“ kommt vom lateinischen „usus fructus“ und heißt in Österreich „Fruchtgenussrecht“. Und ist das nicht mal ein schönes Wort?