Ein bisschen auch Romantiker

Er bezeichnet sich selbst als Fotograf, Geograf und Geschichtenerzähler. Mit der Kamera, dem Motorrad und seiner Partnerin auf dem Sozius bereiste und fotografierte er die Wüsten dieser Erde. Ein Gespräch mit dem Wüstenkenner Michael Martin

Interview EDITH KRESTA

taz: Was zieht Sie immer wieder in die Wüste?

Michael Martin: Als Siebzehnjähriger bin ich mit dem Mofa nach Marokko gefahren. Da war die Wüste für mich eine einzige Herausforderung. Das Wüstenreisen ist für mich bis heute Reiseerlebnis, Abenteuer, Herausforderung. Der zweite Grund ist mein Beruf. Ich habe Geografie studiert. Und für Geografen ist die Wüste wie ein Buch. Und drittens: Ein Fotograf wird sich immer an der Wüste begeistern.

Im Laufe der Jahre hat sich Ihr Fokus verändert. Zunächst war es die Sahara, dann waren es die Wüsten Afrikas und nun sind es die Wüsten der Erde. Was unterscheidet diese Wüsten?

Tiere und Pflanzen passen sich der Wüste mehr oder weniger gut an. Der Mensch ist definitiv nicht an die Wüste angepasst. Der Mensch war gezwungen, wenn er in der Wüste leben wollte, sich kulturell zu adaptieren. Dazu gibt es unterschiedliche Kulturtechniken. Beispielsweise die Art und Weise, ein Zelt zu bauen: Sie ist bei den Arabern eine ganz andere als bei den Mongolen mit ihren Jurten.

Verstehen Sie das Sehnsuchtsprogramm Wüste?

Es ist nachvollziehbar, weil die Wüste ein perfektes Gegenkonzept zu unserem Leben hier darstellt. Unser Leben ist vollgestellt mit unheimlich vielen Regeln, Ansprüchen, Strukturen, Zwängen. Die Wüste ist zunächst einmal scheinbar leer. Ich kann Reisende sehr gut verstehen, die die Wüste als etwas Befreiendes Empfinden. Das geht im Übrigen Wüstenbewohnern auch nicht anders. Viele Wüstenbewohner verklären die Wüste genauso romantisch wie Europäer es tun. Insbesondere diejenigen Wüstenbewohner, die heute in Städten leben.

Zu Ihren Diavorträgen – eigentlich eine ziemlich altertümliche Art der Präsentation –kommen bis zu 400 Personen. Haben Sie sich dem Marktgeschmack angepasst?

Nein, ich habe die letzten 25 Jahre immer das gemacht, was mir Spaß macht. Und ich habe Glück gehabt, dass das auch anderen Leuten gefällt. Das Thema Wüsten der Erde habe ich fünf Jahre fotografiert und weitere fünf Jahre bearbeitet. Wenn ich da Motivationsprobleme hätte, würden es die Leute merken.

Wer kommt zu Ihren Vorträgen?

Alle Altersgruppen, alle sozialen Schichten: Wüstenbegeisterte, Esoteriker, Rallye-Fans, Rommel-Vetereranen. Zur Wüste fällt jedem was ein. Manchmal kommt es mir vor, als ob die Leute mit der Eintrittskarte ein Stück ihrer Träume kaufen.

Was werden Sie am häufigsten gefragt?

Wie haben Sie das mit der Verständigung gemacht? Die zweithäufigste Frage ist: Wie haben Sie das mit dem Benzin gemacht? Weil sich die Leute nicht vorstellen können, dass es in den Wüsten Strukturen gibt. Mit GPS-Geräten und Karte lassen sich diese Strukturen finden: Wasser, Benzin und Menschen. Die Gefahr ist nicht, in der Wüste zu verdursten, sondern krimineller oder militärischer Art.

Das Motorrad ist ja nicht die angepassteste Art, um die Stille der Wüste zu erkunden.

Ich fahre mit dem Motorrad, weil es praktisch ist und ich ein gutes Stück näher dran bin an der Natur und an den Menschen. Die beste Art ist sicherlich das Kamel, aber bei einem weltweiten Projekt wie Wüsten der Erde ist das schwierig. Und die Tatsache, dass ich mit meiner Freundin unterwegs bin, als Pärchen auf einem Motorrad, hilft, um leichter Kontakt herzustellen.

Was ist Ihre Lieblingswüste?

Die Sahara. Sie ist mit 9 Millionen Quadratkilometern 25-mal so groß wie Deutschland. Sie ist der einzige Wüstenkontinent. Sie zieht sich vom Atlantik bis zum Roten Meer. Sie hat kontinentale Ausmaße. Das traditionelle Leben ist dort aufgrund der Rückständigkeit der Länder sehr ausgeprägt.

Sehen Sie die Wüsten als Ethnomuseum?

Weiß Gott nicht! Aber trotzdem ist es für mich spannend, möglichst viel Traditionelles zu sehen. Und auch gerade der Übergang, den wir momentan erleben, die Globalisierung. Das gibt die skurrilsten Mischungen. Was mich wehmütig macht: Noch eine Generation, und dann wird all das verschwunden sein.

Sind Sie Romantiker?

Ein bisschen schon.

Bei Ihren Bildern fällt auf, dass sie sehr stimmige Situationen fotografieren, weniger Brüche, Probleme …

Ganz so stimmt es nicht. Sie werden von mir beispielsweise kein Aboriginalbild sehen, wo dieser wild bemalt ist und Pfeil und Bogen hat. Ich zeige sie an Benzinflaschen sniffend als Alkoholiker. Diese Bilder sind hauptsächlich bei meinen Vorträgen zu sehen. In den Büchern muss ich befürchten, wenn ich solche Bilder drucke, dass ich erhebliche Probleme bekomme mit entsprechenden Organisationen oder von Regierungsseite.

Das überzeugt nicht …

Sie haben schon Recht: Ein großer Teil meiner Bilder zeigt schon eher die Schönheit. Aber um ein breites Publikum zu erreichen, werden Sie die Sanddüne im Abendlicht brauchen. Trotzdem versuche ich in meinen Texten auch Probleme anzusprechen. Aber es gibt ja nicht nur darbende Menschen in der Wüste.

Was ist ihr nächstes Projekt?

Seit 25 Jahren lief alles auf das Projekt Wüsten der Erde zu. Das lässt sich kaum steigern. Vielleicht besuche ich aber die Eiswüsten.

Was sichert Ihren Lebensunterhalt?

Ich lebe vor allem von den Vorträgen. Das ist hart. Ich muss zu jedem Zuschauer hinfahren. Letztes Jahr waren das 100.000 Kilometer auf der Autobahn und jeden Abend woanders. Jetzt kenne ich Deutschland mindestens so gut wie die Wüsten.