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Archiv-Artikel

Bagdad in den Zeiten des Terrors

Iraks Hauptstadt lebt im Rhythmus der Gewalt und Angst. Lange Sperrschutzwälle teilen Bagdad in Sicherheitszonen. Und an jeder Straßensperre muss man überlegen: Sind das Soldaten, Milizionäre, Rebellen, Kriminelle? Und wie kommt man durch?

AUS BAGDAD INGA ROGG

Es sind nur noch wenige Minuten bis zum Landeanflug auf Bagdad. Majida Hasber wird wortkarg. Eben hat sie noch lebhaft über die Schwierigkeiten in ihrer Behörde gesprochen und über die Notwendigkeit, mehr für die Jugend des Irak zu tun. Nervös zupft sie an dem Papiertaschentuch in ihrer Hand. Während der Pilot Schleifen dreht, blickt Majida Hasber sorgenvoll aus dem Fenster. Unter einer diesigen Sandstaubschicht erscheinen die quadtratförmigen Raster der Stadtteile von Bagdad, braungrau zieht sich der Tigris in großen Bögen durch die Stadt.

Eine Woche lang war die 36-jährige Beamtin mit einer Delegation des irakischen Jugendministeriums in der kurdischen Regionalhauptstadt Erbil gewesen, um die Zusammenarbeit mit dem dortigen Ministerium zu koordinieren. „Endlich musste ich mir nicht ständig überlegen, ob an der nächsten Ecke Bewaffnete auflauern oder gleich eine Bombe hochgeht“, sagt Hasber. Dann fällt sie erneut in Schweigen, mit einem Seufzer lehnt sie sich zurück: „Ach, Bagdad.“

Abrupt setzt der Pilot schließlich zur Landung an. Noch einmal zieht Majida Hasber die langen Ärmel ihrer weinroten Bluse und das Kopftuch zurecht.

Gleich beginnt für sie der schwierigste Teil ihrer Reise – die Fahrt durch die Stadt. Schon am Flughafen gibt es das erste Hindernis: Der Fahrer steckt an irgendeinem Checkpoint fest. Hastig verabschiedet sie sich, als er schließlich eintrifft. Wir verabreden uns für die nächsten Tage. „Kommen Sie aber bloß nicht im Ministerium vorbei“, sagt Hasber. Warum? Niemand könne sicher sein, dass sich unter den Mitarbeitern nicht Personen befänden, die mit Entführerbanden oder Terroristen gemeinsame Sache machen. Ihr, der Schiitin, würde man den Besuch der ausländischen Reporterin als Kollaboration mit den Amerikanern auslegen, und die Reporterin selbst könnte als Geisel enden. So oder ähnlich verlaufen in den kommenden Tagen noch viele Gespräche.

Zahlreiche Versuche, sich mit Bekannten oder Freunden zu verabreden, sofern diese Bagdad nicht ohnehin verlassen haben, tot oder verschollen sind, scheitern daran, dass sich kein Weg findet, einen Treffpunkt zu vereinbaren. Dabei gäbe es Dinge zu sehen, die von der Standhaftigkeit der Bagdader zeugen, sich der Gewalt nicht zu beugen. In der Galerie Hawar versammeln sich weiterhin Künstler und Künstlerinnen, das Orchester für traditionelle irakische Musik probt auch heute noch.

Seit Wochen ist in Bagdad eine Großoperation der Sicherheitskräfte im Gang. Unzählige Checkpoints blockieren überall die Durchfahrt – Armeesoldaten, Polizei, Sondereinheiten, hin und wieder auch US-Truppen. Das Sicherheitsempfinden der Hauptstädter hat sich dadurch freilich nicht verbessert. Vor jedem Checkpoint bekommt unser Fahrer Schweißausbrüche. Sind das nun regierungstreue Einheiten, Milizionäre oder einfach Kriminelle im Polizeigewand, auf der Suche nach Opfern oder fetter Beute? Welche seiner verschiedenen Identitätskarten soll er also vorlegen – die als Sunnit, als Schiit oder als Kurde, die als Regierungsmitarbeiter oder die als freier Ingenieur? Seine Nervosität legt sich erst, wenn uns die Wachen ohne Kontrolle passieren lassen. Trauen könne man nur seinen eigenen Leuten, sagt er – das ist die Familie, der Clan, notfalls noch die eigene Partei.

Die Farbe der Angst ist grau. Kilometer um Kilometer ziehen sich Betonwälle durch die Stadt. Dahinter sind zahlreiche kleine Sicherheitszonen für die Bessergestellten entstanden. Einfache Bürger haben in ihren Vierteln aus Furcht vor den Übergriffen sunnitischer oder schiitischer Milizen eigene Barrikaden aus Erde, Steinen und Stacheldraht errichtet. Wer nicht unbedingt muss, verlässt seinen Kiez nicht. Das Geschäftsviertel Karrada, wo sich früher die Elektrowaren auf dem Gehsteig türmten und der Verkehr staute, wirkt beinahe verwaist. Viele Geschäfte sind geschlossen. Auch sonst wirkt Bagdad in vielen Gegenden wie eine Geisterstadt.

Das ändert sich schlagartig, als wir in die so genannte internationale Zone fahren, die „Grüne Zone“. Wie ein Labyrinth ziehen sich die Sprengschutzmauern durch das kilometergroße Hochsicherheitsareal, in dem neben der US-Botschaft auch die irakische Regierung, das Saddam-Tribunal, die UNO und ausländische Firmen ihren Sitz haben. Doch auch alteingesessene Bagdader wohnen in der Stadt in der Stadt. Wie alle brauchen sie zum Betreten einen speziellen Ausweis. Die „Einfuhr“ von Waren ist allerdings so kompliziert, dass außer ein paar Kleinhändlern kein Geschäftsmann die Mühen auf sich nehmen will – obwohl sich angesichts der gutbetuchten Kundschaft gute Geschäfte machen ließen.

Hin und wieder kann man hier sogar Ausländer sehen, die seelenruhig eine Straße entlanglaufen. Der Autoverkehr ist so rege, dass man sich eher außerhalb als innerhalb der Zone wähnt. Die Grenze zwischen den beiden Seiten ist freilich beinahe genauso unüberwindlich wie seinerzeit die Berliner Mauer.

Nach einer Woche hat sich immer noch kein geeigneter Ort für ein Treffen mit Majida Hasber gefunden. Am Ende verabreden wir uns in Erbil, wenn sie das nächste Mal in den Norden des Irak kommt, ins Kurdengebiet. „Inshallah“, sagt sie: So Gott will.