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Archiv-Artikel

Polizei muss aussagen

Die Strategie der politischen Staatsanwaltschaft, eine Bauwagenaktion in der Hamburger Hafenstraße vor die Verkehrsgerichte zu bringen, wird brüchig. Das Landgericht will den Fall komplett neu aufrollen

Der Prozess um die Bauwagendemo „Einmal im Leben pünktlich sein“ an der Hafenstraße wird nun doch neu aufgerollt. „Es findet eine komplette neue Beweisaufnahme statt“, berichtet der Anwalt der Bauwagenszene, Andreas Beuth. „Und wir gehen davon aus, dass diesmal wichtige Polizeizeugen gehört werden, die uns in erster Instanz vorenthalten worden sind.“

Am frühen Morgen des 24. April 2004 waren 99 Bauwagen aus dem ganzen Bundesgebiet vor der ehemals besetzten Häuserzeile an der Hafenstraße aufgefahren, um dort für diese alternative Lebensform zu demonstrieren. Da die Versammlung nicht angemeldet worden war, verlangte die Polizei die Benennung eines Versammlungsleiters. Dann verfügte der Einsatzleiter der Polizei, dass die Personalien der FahrerInnen festgestellt würden. Danach seien die Wagen einzeln wegzufahren, dabei würden sie durchsucht. Wenig später erklärte die Polizei die Versammlung für aufgelöst und begann die Fahrzeuge aufzubrechen, kurzzuschließen und abzutransportieren. Gegen die Einsatzleiter sind noch immer Strafverfahren wegen Sachbeschädigung anhängig, die die Anklagebehörde jedoch nur widerwillig betreibt.

Der Versuch des Landgerichts, den Komplex per Vergleich vom Tisch zu bekommen, war am Widerstand der politische Staatsanwaltschaft gescheitert. Bei einem so genannten „Schnuppertermin“ hatte das Gericht nach Prüfung des Sachverhaltes angeregt, das gegen drei Bauwagenbesitzer geführte „Pilotverfahren“ ohne Schuldanerkenntnis einzustellen. Das hätte auch Auswirkungen auf das gute Dutzend der noch anhängigen Verfahren gehabt. Die Staatsanwaltschaft beharrte jedoch darauf, das Verfahren nur gegen ein Bußgeld in Höhe von einem Monatsgehalt einzustellen. Das wiederum wollten die Betroffenen nicht akzeptieren.

In erster Instanz waren die drei Angeklagten aus „spezial- und generalpräventiven Erwägungen“ wegen „gemeinschaftlicher Nötigung“ verurteilt worden. Der zuständige Verkehrsrichter sah in einer Demo von 100 Bauwagen zu „ungewöhnlich früher Stunde“ eine „rechtswidrige Versammlung“, weil die Hafenstraße durch diese „physische Barriere“ blockiert und Autofahrer „zur Änderung der Fahrroute“ gezwungen worden waren.

Ob die Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem Landgericht wieder mit einer Verurteilung endet, ist alles andere als sicher. Die Verteidigung geht davon aus, dass es sich um eine vom Grundgesetz geschützte Demo gehandelt hat, die die Polizei gar nicht hätte auflösen dürfen.

Das Landgericht hat offensichtlich schnell die Dimension des Komplexes erkannt. So hat das Präsidium entschieden, den Fall wegen seiner Komplexität nicht an Verkehrsgerichte, sondern an eine „normale Strafkammer“ zu übertragen. Damit ist das Gros der Amtsgerichtsverfahren, die auf Druck der Staatsanwaltschaft in der Sache betrieben worden sind, unwirksam. Denn dort waren es vornehmlich Verkehrsrichter, die über die Bauwagen-Demonstranten zu urteilen hatten. Kai von Appen