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Archiv-Artikel

Im Mikrokosmos

Handlich, heftig, hypnotisierend: Die „Kleiner als klein“-Schau im Bremer Marcks-Haus hat faustische Qualitäten. Manche Exponate sind sogar nicht viel größer als eine Fingerkuppe. Ihrer Wirkung tut das allerdings keinen Abbruch

A.R. Penck schnitzte aus dem Korken einer Weinflasche einen Kopf mit großer dreieckiger Nase, anschließend verschafft er ihm per Bronzeguss die Aura des Unverwüstlichen

von Henning Bleyl

Der Zeitpunkt scheint gut gewählt: Während sich alle Welt über die Ausstellung des Nazi-Bildhauers Arno Breker in Schwerin aufregt, markiert das Bremer Gerhard Marcks-Haus, das sich „Das Bildhauer-Museum im Norden“ nennt, lässiges Understatement. Seine aktuelle Ausstellung sucht die Superlative im Minimalen: Unter dem Titel „Kleiner als klein“ werden Plastiken gezeigt, die höchstens faustgroß sind.

Viele der rund 60 Arbeiten gleichen sogar eher Fingerlingen. Von Niki de Saint-Phalle etwa ist eine nur zweieinhalb Zentimeter messende Ausgabe ihrer sonst gern überlebensgroßen Weiblichkeitsgöttin „Nana“ zu sehen, von Wilhelm Gerstel höchst beeindruckende Holzfiguren, die er als Kriegsgefangener aus zerbrochenen Zeltpflöcken schnitzte.

Um es zuzuspitzen: Eigentlich würde die ganze Ausstellung in eine einzige Vitrine passen, ist aber, säuberlich aufgeteilt in die traditionellen Grundtypen der Bildhauerei, über das gesamte Haus ausgebreitet. Dessen Räume fassen sonst mühelos Großplastiken, im Übrigen auch aus der Hand des Hitler-Lieblings Breker: Schon vor fünf Jahren löste das Marcks-Haus mit seiner „Taking Positions“-Schau, die auch vor Brekers Kollegen Josef Thorak nicht Halt machte, heiße Diskussionen aus. Zumal das hiesige Stadtmarketing den Slogan „Bremen neu erleben mit Breker“ riskierte.

Die Kleinformate der gegenwärtigen Ausstellungen lösen weit weniger Kontroversen aus. Luftig gelagert in großen Plexiglaskästen harren Torsi, Köpfe und Büsten der näheren Betrachtung, mit Hans Wimmers „Christel im Kittel“ ist auch das Genre „Gewandfigur“ expressis verbis vertreten. „Monumentalität ist mit dem Meterstab nicht zu messen“, hat Wimmer weise gesagt, und in der Tat hat der kantige Faltenwurf seiner eigentlich mickrigen Christel auch aus der Entfernung noch Wucht.

Ein unschlagbarer Vorteil der Kleinplastik: Sie eignet sich hervorragend zur Darstellung von Gruppenszenen. Was dem Zinnsoldaten-Freak recht ist, war Alfred Lörcher billig: Sein „Chaos, Panik III“-Tableau zeigt halb versinkende Figuren, die käthekollwitzhaft die Arme recken und damit Teil einer schockgefrorenen Choreografie werden. Schräg gegenüber hängt Jürgen Brodwolfs genialer „Speisesaal“-Guckkasten. Seine an langen Metalltischen sitzende Benutzer entpuppen sich erst beim dritten Hineinschauen als ausgedrückte Farbtuben.

Das ist alles andere als „kleine Kunst für klamme Sammler“, als die Miniaturformatiges gelegentlich bespöttelt wird. Zumal die Kleinfiguren, die Picasso bevorzugt Mitte der 40er Jahre knetete, heute bestimmt nicht billig sind. In Bremen ist jetzt die „Kleine stehende Nackte“ zu sehen, die Picasso aus einer liegenden Tonschicht zog.

Auch im Kleinen leider kaum zu vermeiden ist das Thema „Tier“. Nicht umsonst hat die fürchterliche Renée Sintenis – die Frau, die auch den Prototyp des alljährlich überreichten „Goldenen Bären“ bei der Berlinale zu verantworten hat – ein Vermögen mit liegenden Rehlein und dergleichen gemacht. Daneben ist Arthur Klinglers massig-gemütliches Bronze-Schwein schon verträglicher, bei August Gauls Esel-Anthologie (der „Gehende“, „Ausschlagende“, „Trabende“ und „Sich Wälzende“) ist man mit dem Genre wieder versöhnt. Zumal das Marcks-Haus die Briefbeschwerer für Förstergattinnen auch unmittelbar konterkariert: Die Ohren des Wimmerschen Rehs, das neben Sintenis‘ Schöpfungen äst, besitzen Brieföffnerqualitäten, jegliches Handschmeichlertum ist auch durch das unglaublich scharf geschwungene Rückgrat dieses Anti-Bambis negiert.

Immer gilt: Der Rohstoffbedarf ist überschaubar. Für Karl Schmidt-Rottluff genügt ein Kieselstein als Grundform archaisierender Gesichter. A. R. Penck schnitzte aus dem Korken einer Weinflasche einen Kopf mit großer dreieckiger Nase, anschließend verschafft er diesem schrundigen Osterinsel-Gesicht per Bronzeguss die Aura des Unverwüstlichen. Und Giacometti erhält sich seinen Drang in die Vertikale unter anderem durch gestufte Doppelsockel, auf die er seine schrumpfköpfigen Schädel setzt.

Sein Problem: Oft „wurden sie so winzig, dass sie mit einem allerletzten Spatelstrich zu Staub zerfielen.“ Die Überlebenden aber sind echte Hingucker.

„Kleiner als klein“: noch bis 20. August im Bremer Gerhard Marcks Haus. Führungen: Donnerstag 17 Uhr und Sonntag 12 Uhr