: Das Gewissen der Konzeptkunst
Er lebt in New York und sorgt in Deutschland für Furore. Der Kölner Konzept-Künstler Hans Haacke wurde 70
Auch nordrhein-westfälische Erde liegt verstreut mitten in Berlin. Der Kölner Künstler Hans Haacke wurde 1998 vom Deutschen Bundestag eingeladen, ein Konzept zur künstlerischen Gestaltung des nördlichen Lichthofs im Reichstagsgebäude zu entwickeln. Sein Projekt „Der Bevölkerung“, eine Anspielung auf die 1916 am Westportal angebrachte Inschrift „Dem deutschen Volke“, wurde erst heftig debattiert und dann von der Mehrheit der Abgeordneten angenommen. Viele brachten danach aus ihrem Wahlkreis Erde mit, mit der der Schriftzug dann aufgefüllt wurde.
Am vergangenen Samstag wurde Hans Haacke, der seit 1965 in New York City lebt und in Soho ein Studio unterhält, 70 Jahre alt. Früh widmet sich der streitbare Konzept-Künstler mit seinen stets gut recherchierten Interventionen der Bewußtmachung historischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge. Er leistet mit künstlerischen Mitteln Aufklärungsarbeit – und ist so immer wieder spektakulär an die politischen Grenzen des im Kulturbetrieb Machbaren gestoßen. Eines der in NRW bekanntesten Werke ist wohl das „Manet-Projekt“ von 1974, ein Vorschlag zum Jubiläum des Wallraf-Richartz Museums, der die Sammlungsgeschichte des Spargelstillebens von Manet (gemalt 1880) rekonstruiert. 1968 wurde es auf Initiative des damaligen Kuratoriumsvorsitzenden Herrmann Josef Abs für das Museum angekauft. Haacke wollte die Verflechtungen von Geld und Macht offenlegen. Doch die Vorbesitzer des Gemäldes, unter ihnen der Deutsche Bank-Sprecher und -Vorstand Abs, dem die Offenlegung seiner sozialen, politischen und ökonomischen Stellung nicht behagte, erwirkten die Zensur und letztlich die Absage des Kölner Haacke-Projekts. In der Galerie Paul Maenz und zwei Jahre später im Frankfurter Kunstverein wurde die Arbeit dann gezeigt.
Nachdem er zu Beginn seiner künstlerischen Karriere die Interaktionen zwischen physischen und biologischen Systemen, Tieren, Pflanzen und Zuständen dargestellt hatte (etwa „Condensation Cube“, 1963- 65), kam er dazu, aus diesen naturwissenschaftlichen Gesetzen sozio- und kulturpolitische abzuleiten. Seither gilt er als das kritische Gewissen der deutschen Konzeptkunst. Große Einzelausstellungen hatte er inzwischen weltweit, war einer der Preisträger der Biennale 1993 in Venedig (für „Germania“) und Teilnehmer der documenta X. 2004 erhielt er den Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum. Berlin und Hamburg widmen ihm in diesem Jahr endlich umfassende Schauen.
Auch wenn Haacke im Internet oft schon als Amerikaner geführt wird, fühlt er sich doch als „glühender deutscher Verfassungspatriot“: „Obgleich ich seit Jahren in New York lebe, ist es mir nie in den Sinn gekommen amerikanischer Staatsbürger zu werden.“ Mit Blick auf das oft ungeliebte Werk Haackes stellt sich die Frage, warum es heute so wenige Künstler gibt, die eine vergleichbar überzeugende und politisch engagierte Kunst vertreten. KATJA BEHRENS