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Archiv-Artikel

„Wie geil ist DAS denn!?“

Wie bitte, Waffen-SS? Warum rückte Günter Grass so spät mit der Wahrheit heraus? Falsche Frage. Wem genau nützt der gesellschaftliche Skandal, welche Leichen hat der Literat noch so im Keller?

Herausgeberbüro der FAZ, vierter Stock. Frank Schirrmacher, der für Kultur zuständige Chef, sitzt an seinem Schreibtisch und blättert lustlos mit der Linken in einem Stapel Papiere, während er mit der Rechten nervös sein Super-Motorola-Mobile-Phone auf- und zuklappt.

Schirrmacher (in den Raum): Der Libanon is’ nun auch schon langsam durch. Merkel? Steinmeier. Der Eichel?! Mensch, darüber will doch keiner reden. (hebt das Handy zum Ohr). Frank hier. Der Schirrmacher, ja, wer denn sonst? Hör zu, wir brauchen mal wieder einen Kracher! Mhm. Ja. Nein. Nein. Danke, ja, sehr interessant, ciao. (klappt das Handy wieder zu). Diese verdammten Langweiler! (klappt das Handy wieder auf). Hallo, Schatz, ich bin’s. Bei mir wird’s heute etwas später, du brauchst dich mit dem Abendessen nicht zu beeilen. Sag mal, weinst du etwa? Ach so, du bist beim Häuten der Zwiebel … (legt genervt auf)

Es klopft, seine Sekretärin.

Sekretärin: Herr Schirrmacher, da wäre der Grass für Sie …

Schirrmacher (unwirsch): Genau, der hat mir jetzt noch gefehlt. Was der schon wieder will? Wahrscheinlich mir sein korrektes neues Pamphlet andrehen wollen. Keine Zeit.

Sekretärin: … aber der ist heute irgendwie seltsam, so anders, so aufdringlich, so …

Schirrmacher (seufzt): Ja, durchstellen, eh schon egal.

Sekretärin: Äh, nein, der Herr Grass wartet draußen.

Schirrmacher (resigniert): Schicken Sie ihn rein, ich schaue ihn mir mal an.

Grass (schlurft herein, lässt sich ächzend in den Sessel sinken und seine Blicke durch den Raum wandern): Haben Sie’s … schon … äh … gelesen?

Schirrmacher (plötzlich hellwach): Was? Was gelesen? Wo?

Grass. Vom Häuten der …

Schirrmacher: Sehr lustig!

Grass: Im Ernst? Hätte gar nicht geglaubt, dass Sie meinem Leben auch komische Seiten abgewinnen konnten.

Schirrmacher: Ihrem Leben?

Grass: Meiner Autobiografie.

Schirmacher (rollt mit den Augen): … die Sie ja unbedingt selbst schreiben wollten, ja. Was ist damit?

Grass: Sie liegt dort auf Ihrem Schreibtisch.

Schirrmacher (verdutzt): Tatsächlich.

Grass: Zur Sache, Herr Schirrmacher. Das Ding muss sich verkaufen …

Schirrmacher (wissend): Klar.

Grass: … und nur Sie, Herr Schirrmacher, können mir dabei helfen.

Schirrmacher (hat Witterung aufgenommen): Ich? Aber Herr Grass, wie könnte ein Wurm wie ich Ihnen helfen? Sie sind doch das linke Gewissen unserer stolzen, aber leider erschreckend überalterten Kulturnation, ein Literat von höheren Weihen, manche Ihrer Bücher wurden sogar verfilmt!

Grass (würdevoll): Ich bin Nobelpreisträger.

Schirrmacher: Jajaja.

Grass: Meinem neuen Buch nutzt dieser Preis wenig. Wissen Sie, ich bin alt und brauche …

Schirrmacher: Aufmerksamkeit! Sie brauchen Aufmerksamkeit, stimmt’s? Was Sie brauchen, ist ein Kracher!

Grass: Genau.

Schirrmacher: Streng genommen brauchen wir beide einen Kracher. Ihre komische Zwiebel reicht dafür natürlich nicht aus, ich weiß das, ich bin Profi, wir brauchen einen nationalen Aufreger, ach was, einen internationalen Skandal, einem Coup, ein Reizthema, an dem nicht einmal der Papst vorbeikäme …

Grass (denkt mit): Frauen?

Schirrmacher: Ja, was haben Sie denn so über Frauen aufgeschrieben?

Grass: Na, das Übliche.

Schirrmacher: Zu wenig. Hisbollah? Merkel? Sonst irgendwelche Leichen im Keller?

Grass (schüttelt traurig den Kopf): Ich fürchte, ich bin einfach ein Langweiler.

Schirrmacher (zieht den letzten Trumpf): Nazis?

Grass (grübelt): Na ja, in meinem Buch verliere ich ein paar Worte über meine Zeit in der Waffen-SS …

Schirrmacher (fällt die Kinnlade runter): Nein! Wie geil ist das denn? Echt krass, Herr Grass!

Grass: Wieso jetzt?

Schirrmacher (emsig): Lassen Sie mich nur machen! Zuerst brauchen wir ein Interview. DAS Interview, verstehen Sie? Sie tun gestehen, wir drucken, die Nachricht geht um die überbevölkerte Welt, setzt sie in Brand … (sieht die Schlagzeilen vor sich). „FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher enthüllt: Waffen-SS-Beichte! Muss die Geschichte umgeschrieben werden?“

Grass: Und mein Buch?

Schirrmacher: FAZ-Sonderdruck. Beilage. Sechs Seiten. In Farbe. Machen wir alles.

Grass (erleichtert): Na, dann gehe ich jetzt wohl besser. (ab)

Schirrmacher (klappt kichernd das Handy auf): Mensch, Matussek, geh ran! Kai? Ach, Ulrich! Uli Wickert! Auch gut! Pass auf, wie wär’s mit folgendem Deal … BELAUSCHT VON SUSANNE LANG UND ARNO FRANK