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Archiv-Artikel

Homegrown Terrorism

Tony Blairs Allianz mit Bush ist nicht der Grund für die Radikalisierung britischer Muslime. Schuld daran sind islamistische Einflüsse aus Pakistan – und falsche Integrationspolitik

Auf dem indischen Subkontinent hat sich das Kräfteverhältnis islamischer Gruppen erheblich verschoben„New Labour“ hat aus taktischen Gründen gerade das Gewicht der konservativen Muslime gestärkt

„Die Politik des Premierministers gefährdet britische Leben“ überschrieben islamische Organisationen in Großbritannien einen Brief, den sie in Reaktion auf das vereitelte Attentat auf Transatlantikflüge an Tony Blair richteten. Brisant für die Regierung ist, dass ihn drei der vier muslimischen Labour-Abgeordneten und drei der vier von Blair ernannten muslimischen Lords unterzeichneten. Fragt sich nur, ob das Argument stichhaltig ist.

Selbstredend wurde Großbritannien für radikale Islamisten zum Ziel, weil die Regierung die Politik der Bush-Administration unterstützte. Die Behauptung aber, erst dadurch seien britische Muslime radikalisiert worden, ist hingegen schlicht falsch. Auf die Parteinahme für die amerikanische Politik ist zurückzuführen, dass radikale britische Muslime sich nun zu Terrorakten gegen die eigene Regierung und Gesellschaft bereitfanden, die sie bis dahin eher still verachtet hatten. Doch Gewalt gegen „Ungläubige“ erachtete schon lange vor dem Irakkrieg eine beachtliche Minderheit vor allem junger Muslime im Vereinigten Königreich als legitim.

Deutlich vor Augen führt dies der Bericht eines nichtmuslimischen Computertechnikers, den der britische Guardian jüngst publizierte. Martin Gilbertson brachte südasiatisch-muslimischen Jugendlichen im Hamara Youth Access Point zu Leeds Webdesign bei. In diesem Jugendzentrum, das aus Erträgen der staatlichen Lotterie finanziert wird, fiel ihm auf, dass religiöse Formeln, Hetze gegen „Ungläubige“ und Verschwörungstheorien den Umgangston bestimmten. Dies spielte sich zum größten Teil vor dem Irakkrieg ab: Die drei jungen Männer hatten ihm diesen Job vermittelt, kurz nachdem sie in seinem Computerladen die Bilder vom 11. September bejubelt hatten.

Öffentlichkeit und Sicherheitsbehörden interessierte jedoch nicht weiter, was dort vor sich ging. Schlagzeilen machte das Jugendzentrum erst, als sich Muhammad Sidique Khan, einer seiner Leiter, als führender Kopf der Attentäter von London entpuppte. Radikalisiert wurde er durch Kontakte mit muslimischen Zirkeln, die eng mit extremistischen Kräften in Pakistan verbandelt sind. Die bis jetzt spärlichen Berichte über die jungen Männer, die nun im Zusammenhang mit den geplanten Flugzeugattentaten festgenommen wurden, deuten auf ähnliche Radikalisierungs- und Rekrutierungsmuster hin. Der islamistische Terrorismus in Großbritannien ist also nicht ganz so „homegrown“, wie mancher Kommentator im Schnellschuss behauptete.

Um die Radikalisierung junger südasiatischer Muslime in Großbritannien zu verstehen, muss man sich vor Augen halten, dass sich im Islam auf dem indischen Subkontinent in den letzten Jahrzehnten die Kräfteverhältnisse erheblich verschoben haben. In Südasien bestand die dominierende Form islamischer Religiosität lange Zeit in einer engen Verbindung von Heiligen- und Prophetenverehrung, Sufiritualen und einer peniblen Beachtung von Reinheitsregeln. Die Anhänger dieser religiösen Strömung werden, nach einer ihrer führenden Figuren zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, als Barelwis bezeichnet. Ihre religiösen Führer neigen nicht dazu, sich politisch zu exponieren; stattdessen stützten sie traditionell die etablierten Mächte und Hierarchien.

Wenngleich die Barelwis in Pakistan selbst ihre dominierende Position bis heute nicht verloren haben, verlieren sie doch zusehends Anhänger an puritanische und islamistische Strömungen. In den britischen Städten können sie ihre Stellung nur noch schwer halten, da sie dort nicht über etablierte Institutionen verfügten, in denen junge Menschen über Riten religiös sozialisiert werden. Für jemanden, der eine spezifisch islamische Antwort auf die Herausforderungen der westlichen Gesellschaft sucht, haben sie wenig zu bieten, da ihre Führer oft nicht einmal über rudimentäre Kenntnisse der Dinge verfügen, die jenseits des traditionellen Bildungskanons liegen. Bewusst stießen die britischen Ableger der rigideren südasiatischen Islamvarianten, aber auch international agierende Gruppierungen in dieses Vakuum.

Was dieser Entwicklung ihre politische Brisanz verleiht, ist die enge Verbindung einiger dieser Gruppierungen mit paramilitärischen Organisationen in Pakistan und Bangladesch. Sie widmen sich dem Kampf gegen Ungläubige und Schiiten, der Unterstützung der Taliban oder dem „Dschihad“ in Kaschmir. Die Grenzen zwischen religiöser und militärischer Ausbildung an einigen Lehranstalten sind fließend. Diese werden auch von britischen Muslimen besucht, wahrscheinlich war Muhammad Sidique Khan einer von ihnen. Islamistische Werber, die Spenden für die Kämpfer des „Lashkar-i-Tayyiba“ in Kaschmir einsammelten, wurden in Großbritannien nicht erst 2001 gefasst.

Vorschub leistete dieser Entwicklung aber auch die Politik von „New Labour“. Denn Tony Blair befürwortete von jeher eine starke Rolle religiöser Organisationen im Bildungs- und Sozialbereich. Dies ist sicher seinen eigenen religiösen Überzeugungen geschuldet. Es war aber auch eine strategische Entscheidung, denn mit einem forcierten Multikulturalismus nach britischem Verständnis verschaffte er dem linken Flügel der Labour-Partei eine Spielwiese, während er sich in den meisten anderen Politikbereichen an thatcheristischen Vorbildern orientiert.

Unter den Bedingungen des Mehrheitswahlrechts erscheint es außerdem verlockend, lokal einflussreiche Bevölkerungsgruppen an sich zu binden, indem man „community leaders“ für die eigenen Ziele einspannt. Dem Muslim Council of Britain wuchs bei dieser Klientelpolitik eine Schlüsselrolle zu, wobei geflissentlich ignoriert wurde, dass sein Führer Iqbal Sacranie ein ideologischer Zögling des islamistischen Chefideologen Maududi (1903–1979) ist und in der Vergangenheit schon verklausulierte Mordaufrufe gegen Salman Rushdie formuliert hat. Im Außenministerium setzte sich eine Denkschule durch, die in Islamisten progressive Reformkräfte erkennt. Wie der Journalist Martin Bright kürzlich aufdeckte, führte diese Geisteshaltung dazu, dass Gewaltpredigern wie dem Politiker Delwar Hossein Sayeedi aus Bangladesh, der Hindus mit Exkrementen vergleicht und zum Mord an Abtrünnigen aufruft, bedenkenlos Visa zur Einreise nach Großbritannien ausgestellt wurden.

Der Ökonomienobelpreisträger Amartya Sen hat für diese Politik den treffenden Begriff „pluraler Monokulturalismus“ geprägt, weil sie Individuen ermutigt, sich in ein hierarchisch geprägtes, religiös definiertes Bevölkerungssegment einzuordnen. Sie schürt nicht nur Animositäten unter Minderheiten – eine Studie unter britischen Hindus förderte jüngst erhebliche Verstimmung über die „Vorzugsbehandlung“ für Muslime zutage. Sie schwächte auch all jene säkularen Muslime, die ihre Energie praktischen Alltagsproblemen widmen – auf Kosten von Extremisten, deren Hauptinteresse fernen Schlachtfeldern im „Krieg zwischen Islam und Unglauben“ gilt. MARTIN RIEXINGER