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Archiv-Artikel

Die Tollmutige

Tagsüber beschimpfte man sie in der Kölner Stadtverwaltung als Hexe, abends heulte sie sich in den Schlaf: Lie Selter über ihre Zeit als erste kommunale Gleichstellungsbeauftragte in einer deutschen Großstadt

AUS KÖLN KATHARINA HEIMEIER

Nur die Papiermappen tragen noch lila, die Farbe der Frauenbewegung. Auf dem Schreibtisch steht eine eingerahmte Postkarte: „Können Frauen denken?“, ein Geschenk des ehemaligen Kölner Oberstadtdirektors Kurt Rossa (SPD). Außer diesen Souvenirs erinnert in Lie Selters Büro nichts mehr an ihre Zeit als bundesweit erste kommunale Gleichstellungsbeauftragte einer Großstadt.

„Aus rein politischen Gründen“ habe man sie in dieses Büro in Köln-Sülz im Südwesten der Stadt abgeschoben, sagt Selter. Sie ist jetzt Direktorin der Städtischen Kinderheime Köln. Ihre SPD-Parteimitgliedschaft passte 1999 nicht mehr zu der CDU-Mehrheit im Rat und dem CDU-Oberbürgermeister Harry Blum. Ein bisschen sieht es aus wie die Rache der Konservativen, eine späte Rache. Als „ersten Schritt ins Matriarchat“ bezeichnete 1982 ein Ratsherr Lie Selters Berufung zur Frauenbeauftragten.

Ihre Geschichte ist die Geschichte der nordrhein-westfälischen Frauenpolitik, die in den 70er Jahren ihren Ursprung in der Frauenbewegung in Köln fand. Erst viel später schafften die Belange der Frauen den Weg in die Behörden und Ministerien. Angeeckt sind die beiden dabei immer – die Frauenbewegung und Lie Selter. Die Bilderrahmen in ihrem Büro in Sülz hat sie absichtlich schief aufgehängt.

Sie selbst fiel im Sommer 1976 das erste Mal aus dem Rahmen: Mit anderen Studentinnen besetzte sie ein abbruchreifes Haus im Stadtteil Dellbrück – „taktisch hervorragend“, wie Selter heute sagt. Als das Haus abgerissen werden sollte, musste die Stadt den inzwischen dort untergebrachten Frauen und Kindern eine andere Zuflucht bieten.

Selter und ihre Mitstreiterinnen zerrten das Thema Gewalt gegen Frauen an die Öffentlichkeit und sammelten in der Einkaufsstraße die Geschichten von Frauen, die von ihren Männern geschlagen wurden. Handfeste Beweise. „Der damalige Sozialamtsleiter hat gesagt, die Männer, die ihre Frauen schlagen, könne man auf einer Schubkarre wegfahren.“

Zur Feministin wurde Selter in einem Seminar der Professorin Maria Mies an der Fachhochschule Köln. „Die Geschichte der Frauenbewegung ist bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen“, sagt Selter. Dort entstand auch das Konzept zum Aufbau des ersten Frauenhauses in Nordrhein-Westfalen. Die Studentinnen gründeten den Verein „Frauen helfen Frauen“ und nahmen in ihren Wohngemeinschaften Frauen auf, die Zuflucht vor ihren gewalttätigen Männern suchten. „Wie tollmutig wir damals waren. Manchmal war mir zwar mulmig, dass ein gewalttätiger Mann auftauchen würde, aber richtige Angst hatte ich nie.“ Nebenbei machten die Studentinnen ihr Examen, das Anerkennungsjahr absolvierten sie bei Selter. Sie hatte vor dem Studium in ihrer Heimatstadt Dortmund schon eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht und einen Kinderladen in Köln geleitet.

Ab 1982 trug Lie Selter ihr Engagement für die Anliegen der Frauen in die Institutionen: Sie wurde kommunale Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Köln. Wieder eckte sie an – ohne Rücksicht auf ihr Privatleben. Ihre 1979 geborene Tochter Charlie zog sie alleine groß. „Ich war damals ziemlich monothematisch angelegt. Ich konnte zwar zu allem etwas sagen, aber immer aus Sicht der Frauen.“

Über ihre Berufung zur Gleichstellungsbeauftragten macht sie sich keine Illusionen: Es seien wahltaktische Gründe gewesen, die die Parteien dazu brachten, kommunale Gleichstellungsbeauftragte einzusetzen und Frauenpolitik zu machen. „Die wollten die Stimmen der weiblichen Wähler.“

Selter gehörte zu den ersten, die das Frauenthema in die Behörden trugen. Erst 1990 wurde Ilse Ridder-Melchers (SPD) die erste nordrhein-westfälische Ministerin für die Gleichstellung von Mann und Frau. Frauenpolitik stand Anfang der achtziger Jahre zwar auf der Agenda, aber umstritten war sie immer noch.

„Keine Frau in der Stadtverwaltung wollte diesen Posten haben und sich als Feministin outen. Als ich den Job angetreten hatte, wusste ich warum. Es war der Horror“, erinnert sie sich. Im ersten halben Jahr habe sie sich jede Nacht in den Schlaf geweint. In der Stadtverwaltung beschimpfte man sie als Hexe, die Frauenbewegung nannte sie eine Verräterin. „Das hat mich besonders getroffen. Ich habe mich immer als verlängerten Arm der Frauenbewegung verstanden.“

Sie tat sich schwer mit den Hierachien in der Verwaltung – „ich hatte sieben Jahre in einer WG gewohnt und wir haben im Frauenhaus immer nicht-hierarchische Strukturen gehabt“. Sie bemühte sich, die Regeln der Behörde zu lernen, paukte die Gemeindeordnung. „Ich habe die Verwaltung regelrecht unterwandert.“ Und immer wieder wurde ihr klar, dass ihre Macht „nur eine geliehene“ war – und das obwohl ihr Amt beim Oberstadtdirektor angesiedelt war. „Das musste sein. Eine Frauenbeauftragte ist relativ machtlos. Deshalb muss sie dahin, wo am meisten Macht ist.“

Ihren Chef überzeugte sie mit einem detaillierten Fakten-Bericht. „Daran kam er nicht vorbei.“ Aber trotzdem wurden Personalentscheidungen häufig ohne ihre Kenntnis getroffen. In der Verwaltung machte sie sich Feinde, als sie Fragebögen zur Qualität der Frauenärzte in Köln entwickelte, die Ratsfrauen zum Frühstück einlud und Frauenliteraturlisten herausgab – „und ich habe immer nur die weibliche Form benutzt“. Immer wieder drohte man ihr mit Disziplinarverfahren, aber sie blieb im Amt und wurde zum Vorbild für andere Städte. „Ich bin zur Hebamme für Frauenbüros in vielen Städten in NRW geworden.“

Mitte der achtziger Jahre erlebte die Frauenpolitik ihren Höhepunkt und Lie Selter wurde für eine Zeit lang unangreifbar. „Ich konnte mir alles erlauben, weil mir keiner etwas konnte - der Rathausplatz wäre voller demonstrierender Frauen gewesen.“ Von der Frauenbewegung selber bekam sie späte Anerkennung, fast zu späte. „Erst 2001, als ich das Amt aufgeben musste, haben sie mir das gesagt.“

Sie bedauert ihren erzwungenen Rückzug aus der Frauenpolitik, auch wenn er ironischerweise mit einer tiefgreifenden Veränderung im Privaten zusammen gefallen ist: „Ich habe erst den endgültigen Mann fürs Leben gefunden, als ich aus dem Frauenamt weggegangen bin.“ Aber sie hätte schon gerne miterlebt, welche Auswirkungen das 1999 erlassene Landesgleichstellungsgesetz hatte.

In ihrem neuen Job hinterlässt die Feministin Lie Selter eher kleine Spuren. So hat sie durchgesetzt, dass statt von Mitarbeitern von Mitarbeitenden die Rede ist – „schließlich arbeiten hier fast nur Frauen“. Aber in aktuellen Diskussionen ergreift sie kaum noch das Wort. Die sind ohnehin selten geworden in NRW. Der Frauenminister Armin Laschet (CDU) kümmert sich lieber um seine anderen Themen wie Integration. „Ilse Ridder-Melchers, deren Ressort als Ministerin ausschließlich die Frauen waren, konnte sich dieses Themas viel besser annehmen. Armin Laschet muss einen ganz anderen Blickwinkel einnehmen“, sagt Selter. Das Thema Gleichberechtigung brauche mehr Öffentlichkeit. „Es muss eine ordentliche Diskussion zu dem Thema angezettelt werden.“ Lie Selter nennt sich noch immer eine Feministin, auch wenn sich junge Frauen heute nicht mehr gerne so bezeichnen. „Das heißt ja im Grunde nicht mehr als, die Welt aus Sicht einer Frau wahrnehmen. Und da kann ich nun mal nicht anders.“