: Abschiebung um zwei Uhr früh
Eine vietnamesische Familie aus dem Landkreis Nienburg soll aus Deutschland abreisen. Sie ist gut integriert, beide Elternteile arbeiten. Ob die Nguyens ein Fall für die Härtefallkommission sind, scheint fraglich
Erneut beunruhigt eine von Abschiebung bedrohte Familie eine ganze Region in Niedersachsen. Nach den Flüchtlingen aus Serbien-Montenegro, die sich vor einigen Wochen in Holzminden ins Kirchenaysl geflüchtet hatten, sind es nun die Nguyens aus dem 4.000 Einwohner zählenden Ort Hoya im Landkreis Nienburg. Auch sie sind das, was man wohl gut integriert nennt – und fallen den staatlichen Kassen nicht mal zur Last. Dennoch soll die fünfköpfige Familie am 29. August um 2 Uhr in der Früh zur Abschiebung Richtung Vietnam bereit stehen. So will es ein Bescheid der Ausländerbehörde.
„Wenn das Asylverfahren 14 Jahre gedauert hat, machen ein paar Monate mehr den Kohl auch nicht mehr fett“, sagt Else Krebs. Wie der große Unterstützerkreis um die Nguyens ist sie dafür, dass die Familie ein Thema für die Härtefallkommission des niedersächsischen Landtags wird, die im September ihre Arbeit aufnimmt. Erneut „soll eine Familie abgeschoben werden, die einen durchaus aussichtsreichen Antrag auf Anerkennung als Härtefall stellen könnte“, kritisierte gestern auch die Grünen-Abgeordnete Filiz Polat den zuständigen Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Es sei „unmenschlich“, dass der vietnamesischen Familie diese Möglichkeit nun „buchstäblich in letzter Minute“ genommen werde.
Else Krebs ist Mitinhaberin einer Baumschule. Sie hat ein ganz konkretes Problem, wenn die Nguyens nicht mehr da sind: Der 39-jährige Vater, Min Tuong, arbeitet seit zehn Jahren in ihrem Betrieb, seine Frau ist dort halbtags tätig. Für den witterungsabhängigen Job sind sich viele Deutsche offenbar zu schade. „Vom Arbeitsamt bekomme ich keinen Ersatz – das kann man abhaken“, betont Krebs. Die Nguyens dagegen seien „fleißig, pünktlich und sich nicht für Überstunden zu schade“. Und fügt hinzu: „Sie zahlen Steuern, Krankenkasse, Rentenversicherung und fallen niemandem zur Last – ich kann das alles nicht verstehen.“
Nicht nur Else Krebs glaubt, dass die Abschiebung in die Urlaubszeit gelegt worden ist, damit die Sache ohne Widerstand über die Bühne gehen kann. „Das ist völliger Unsinn“, sagt dagegen ein Sprecher des Innenministeriums. „Abschiebungen finden während des ganzen Jahres statt.“ Die Abschiebung sei rechtmäßig. Alle Asylanträge seit der Einreise des Vaters im Jahr 1992 seien abschlägig beschieden worden. 1999, als erstmals die Abschiebung drohte, seien die Nguyens für zwei Jahre abgetaucht. Als sie 2001 wieder „auftauchten“, war ihre Tochter Ngoc Lan mit dabei, die zuvor bei den Großeltern in Vietnam gewohnt hatte.
„Sie wurde gerade in die 9. Klasse versetzt, alle sind sicher, dass sie das Abitur schafft“, sagt Claudia Amend vom Diakonischen Werk, die die Hilfsaktionen für die Familie koordiniert. Bereits im vergangenen Monat organisierten die Mitschüler vom Johann-Beckmann-Gymnasium Mahnwachen für die 15-Jährige und sammelten fast 600 Unterschriften. Selbst der Rektor hat eine Petition verfasst. „Nicht nur für die drei Kinder ist das eine Tragödie“, betont Renate Paul, die Vorsitzende des Kirchenvorstands der Martin-Luther-Gemeinde in Hoya. Sie denkt bereits darüber nach, den Nguyens Kirchenaysl zu gewähren. „Die Kinder sprechen doch kaum vietnamesisch. Wenn das kein Härtefall ist – was dann?“, so Paul. Vorerst allerdings setzt sie auf Bittbriefe an Innenminister Schünemann und den Ministerpräsidenten Christian Wulff (beide CDU).
Ob das hilft, ist fraglich. Ein Antrag an die Härtefallkommission sei „ausgeschlossen, weil der Abschiebetermin bereits terminiert ist“, sagt ein Sprecher Schünemanns. Paul sagt: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“.KAI SCHÖNEBERG