: „Man muss differenzieren“
Religion Ulrich Kraetzer liest aus seinem neuen Buch „Salafisten – Bedrohung für Deutschland?“
■ 40, ist Politologe, Experte für Extremismus, Autor und Redakteur beim RBB.
taz: Herr Kraetzer, was sind Salafisten?
Ulrich Kraetzer: Salafisten sind zunächst nur Anhänger einer bestimmten Auslegung des Islam. Anders als gemäßigte Muslime verstehen sie den Koran aber nicht metaphorisch, sondern als Regelwerk für die Lebensführung, Staat und Gesellschaft.
Wie viele Salafisten gibt es in Deutschland?
Der Verfassungsschutz spricht von 5.000 AnhängerInnen, Präventionstellen sprechen von 10.000 Salafisten. Die Grenze ist aber schwierig zu definieren. Es gibt ja auch keine formellen Strukturen. Ich gehe davon aus, dass es deutlich mehr Sympathisanten gibt.
Das sind überschaubare Zahlen. Gehen dennoch Gefahren von der salafistischen Bewegung aus?
Ja, ich sehe drei Gefahren: zum einen die Gewaltdimension. Nur ein Bruchteil propagiert Terrorismus, aber es ist schlimm genug, wenn eine Person erfolgreich Bomben legt. Das Zweite ist die Ideologie. Salafisten befolgen nur die Scharia als Regelwerk. Das steht im Widerspruch zur säkularen Demokratie. Zuletzt entsprechen die gepredigten Werte nicht der Mehrheitsmeinung in Deutschland.
Welche Werte sind das?
Dazu gehört die Ablehnung der Gleichstellung von Frauen und Homosexuellen. Solche Haltungen gibt es natürlich auch in anderen Milieus. Salafisten propagieren aber auch eine Ideologie der Ungleichwertigkeit, die zu Hass und Gewalt führen kann.
Woher kommt der in Deutschland lebende Salafist?
In Deutschland sind etwa ein Drittel der Sympathisanten deutsche Konvertiten. Das Ursprungsland der salafistischen Ideologie ist Saudi-Arabien. Mittlerweile gibt es in allen arabischen Ländern und ganz Europa steigende Zahlen. Wir haben es vor allem mit einem Jugendphänomen zu tun, weshalb in Ballungszentren wie Berlin, Hamburg und NRW viele Salafisten leben. Auch die Bremer Szene ist im Verhältnis zur Bevölkerungszahl ziemlich groß.
Unter Innenminister Friedrich gab es die Plakatkampagne „Vermisst!“ Warum war diese so umstritten?
Das war natürlich kontraproduktiv. Friedrichs Ansatz, auf Beratungsangebote hinzuweisen, fand ich gut. Allerdings kann ich verstehen, dass Muslime sich an den Pranger gestellt fühlten. Und für Prediger wie Pierre Vogel war es mal wieder eine Steilvorlage zur Beschwörung eines angeblichen Kampfes gegen Muslime. Man muss einfach genauer differenzieren. INTERVIEW: KORNELIUS FRIZ
19.30, Kulturzentrum Lagerhaus