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Archiv-Artikel

Die Botschaft des Mistkäfers

20 JAHRE RAMBAZAMBA Die Normalität des Andersseins ist für RambaZamba eine der leichtesten Übungen. In der Kulturbrauerei feiert das Theater von behinderten und anderen Schauspielern sein zwanzigjähriges Bestehen

Die großen Stoffe des Theaters werden durchlässig für die eigenen Lebensthemen

VON SIMONE KAEMPF

An der Verwandlung der kleinen Dinge lassen sich bei RambaZamba oft die großen Sehnsüchte ablesen. In der „Winterreise“, der jüngsten Produktion frei nach Schuberts Liederzyklus, landen Briefe, mit denen mal wieder nur miese Nachrichten eintreffen, in kleinen Wutanfällen auf dem Boden. Eine stilisierte weiße Schneelandschaft aus zerknülltem Papier entsteht, in der sich Schneeflocken in Briefe verwandeln, Briefe in Schneebälle und Papier schließlich selbst zu griechischen Göttergewändern gewickelt wird.

Romantik wird in dieser „Winterreise“ nicht zelebriert. Während der Schubert’sche Liebeskranke, Sängerprotagonist Joachim Neumann, die ich-gepeinigten Liedzeilen singt, unterwandern die Mitspieler in den Spielszenen seine Sehnsüchte. Verschroben, manchmal melancholisch, aber auch ironisch-trotzig verhält sich RambaZamba gegenüber den vertonten Gedichten. „Wo zwei Mädchenaugen glühten, war’s um mich geschehen“, singt Neumann. Der Rest der Gruppe stopft sich das Papier zu Schwangerschaftsbäuchen unter die Kleidung.

Mit assoziativ bebilderten Inszenierungen hat sich RambaZamba einen Namen gemacht. Die großen Stoffe, die als Textgrundlage dienen, sind in den Inszenierungen durchlässig für die eigenen Lebensthemen und immer auch Reibungsfläche, um widerständige Haltungen zu entwickeln. Regisseurin Gisela Höhne arbeitet seit 20 Jahren mit den Schauspielern, die Mehrzahl Behinderte mit Downsyndrom. Der Erfolg ist stetig gewachsen: „Medea“ wurde 1999 und „Mongopolis“ im Jahr 2005 zum Festival „Politik im Freien Theater“ eingeladen.

„Ich will die seelischen Kräfte der Schauspieler zeigen“, sagt Höhne, und am besten gelinge das bei allgemein gültigen Themen, die jeden etwas angehen. Allen voran beim Thema Liebe, Quell ewiger Qualen, aber auch mit Motiven des Fremdsein.

In RambaZambas preisgekrönter „Medea“-Version lässt sich Jason zwar wie im griechischen Mythos von der Exotik Medeas betören und verstößt sie schließlich als Wilde. Dabei probieren und kommentieren die behinderten Schauspieler unterschiedliche Varianten und Beziehungskonstellationen. Man spielt eine Komödiantentruppe, die an den Toren Korinths um Einlass bittet. Gesundheitspass, Führungszeugnis, Vermögensnachweise werden vorgelegt, und um die Stadtväter umzustimmen, spielen sie schließlich jene Tragödie.

Während sich Höhnes Inszenierungen innerhalb solch spielerischer Rahmen feinporig an Gefühlswelten heranarbeiten, geht es bei Klaus Erforth, dem zweiten prägenden Regisseur von RambaZamba, meist lauter und wilder zu. Beide gründeten vor zwanzig Jahren gemeinsam den Trägerverein und hatten, selbst Eltern eines Jungen mit Downsyndrom, bereits in der DDR ihre Theaterarbeit mit geistig behinderten Kindern gestartet, damals unter widrigen Bedingungen. 1991 entstand dann die erste Theaterinszenierung, die auf der großen Bühne des Deutschen Theaters viel Aufmerksamkeit auf sich zog. Als Folge eines sich ausdehnenden Theaterbegriffs entstanden weitere integrative Projekte. Christoph Schlingensief drehte „Freakstars 3000“ in einem Berliner Behindertenheim und bestand auf der Normalität des Andersseins.

RambaZamba lebt von den starken Persönlichkeiten der Darsteller. Dass sie viel von sich preisgeben, zeigt der 2003 fürs ZDF entstandene Dokumentarfilm „Liebe Dich“, der ein halbes Jahr lang die Proben begleitet hat, aber auch die private Liebesgeschichte von Moritz Höhne und Nele Winkler erzählt, der Tochter der Schauspielerin Angela Winkler.

Einige der Spieler von RambaZamba sind seit der Gründung dabei. Andere, wie Juliana Götze, haben neue Frische in die Gruppe gebracht. Die professionelle Stimm- und Körperarbeit öffnet ihnen auch andernorts die Türen. So hat Götze eine Hauptrolle bei „Polizeiruf 110“ übernommen, Jan-Patrick Kern und Mario Gaulke wurden vor Kurzem als Synchronsprecher engagiert.

Feste Anlaufstelle ist die Kulturbrauerei, in der das Theater seit 1994 eine eigene Spielstätte betreibt. Die Angebundenheit ins Zentrum ist wichtig, nicht nur geografisch.

Anlässlich des Geburtstags wird der große Innenhof mit einer Open-Air-Inszenierung von Aristophanes „Der Frieden“ bespielt, die RambaZamba mit der israelischen Gruppe Kenafayim und dem polnischen Straßentheater Teatr Osmego Dnia erarbeitet haben. Dass in dem 2.500 Jahre alten Stück ein fliegender Mistkäfer die Nachricht vom Frieden verbreitet, wird dem surrealistischen Verwandlungsdrang ganz sicher in die Hände spielen.

■ „Der Frieden – ein Fest“ in der Kulturbrauerei, ab heute bis 3. 9., jeweils 20.30 Uhr (Eintritt frei), www.theater-rambazamba.org