Berliner Platte : Soul: Joy Denalane singt ihn und Laura Lopez Castro hat ihn
Fast scheint es, als wären Joy Denalane die öffentlichen Erwartungen an ihr multikulturell und gender-technisch einwandfreies Vorzeigedasein zu viel geworden: Statt wie auf ihrem Debutalbum „Mamani“ ihre Realität als schwarze Deutsche und ihr Eheleben mit Max Herre und dem gemeinsamen Nachwuchs in deutschen Texten zu verarbeiten, flüchtet sich die Tochter eines Südafrikaners auf dem Nachfolger „Born & Raised“ in ihre Vatersprache. Gut versteckt hinter den englischen Reimen ist Denalane eine dampfende, ganz altmodisch warme Soul-Platte gelungen. Eine Platte, auf der die mittlerweile 33-Jährige den voluminösen Klang der alten Soul-Divas heraufbeschwört und zugleich deren modernen Nachfolgerinnen wie Mary J Blige Tribut zollt. So verzehrt sie sich in „Be Real“ koloraturenreich nach einem Manne: „All I ever really wanted, was a man who can understand“. Ein geradezu lupenreiner Gospel ist „Start Over“ geworden, mit antwortendem Frauenchor und piepsiger Orgel inklusive. Und in der Wiederauflage von „Heaven Or Hell“, zu dem Raekwon, der Verfasser des Wu-Tang-Clan-Originals, ein paar Raps beigesteuert hat, zitiert sie die für den Soul so typische Gleichsetzung von Religiosität und Sexualität.
Aufgenommen wurde zwar wieder zusammen mit dem Gatten Max Herre und Sekou Neblet, allerdings nicht im heimatlichen Berlin, sondern in dem Studio in Philadelphia, in dem auch The Roots arbeiten. Im Einsatz war eine Garde verdienter Studiomusiker, die zum Teil schon mit Stevie Wonder, Bilal oder Erykah Badu gearbeitet haben. Nicht nur dank solcher Referenzen ist „Born & Raised“ zu einem Hochleistungsprodukt der R&B-Wirtschaft geworden, das für den internationalen Markt konzipiert ist. So klingt es denn auch mitunter: einen Hauch zu perfekt, eine Spur zu glatt, aber das auf allerhöchstem Niveau.
„Born & Raised“ ist aber auch ein weiterer Schritt von Denalane und Herre zur Absicherung ihrer Position im bundesdeutschen Musikgeschäft. Das Album ist die zweite Veröffentlichung des vom Ehepaar in diesem Jahr ins Leben gerufene Labels Nesola, das nach dem Esperanto-Wort für „nicht allein“ benannt ist und unter dem Dach der Fanta-4-Firma Four Music operiert, bei dem die beiden bislang ihre Platten herausbrachten. Für Four war Herre bislang schon als Talentscout tätig, nun gewinnt er noch größere Kontrolle. Nesola, das ursprünglich den allzu pathetischen Namen „Soulguerillero“ tragen sollte, ist allerdings nicht nur als Vehikel für die künstlerischen Ergüsse seiner beiden Betreiber gedacht: Die erste Veröffentlichung war bereits im März „Mi Libro Abierto“, das Debut-Album der in Stuttgart aufgewachsenen Deutschspanierin Laura Lopez Castro. Unterstützt von ihrem Gitarristen und Co-Songschreiber Don Philippe, der Gründungsmitglied von Herres Hiphop-Band Freundeskreis war, spielt sie ebenso spartanisch instrumentierte wie einfühlsam interpretierte, an Jobim oder Veloso geschulte Bossa-Nova-Balladen. Das ist zwar kein Soul, aber es hat jede Menge davon.
THOMAS WINKLER
Interview Joy Denalane S. 13