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Archiv-Artikel

„Sarrazin ist menschenverachtend“

VETO Buchhändler Klaus Gramlich nimmt Thilo Sarrazins Buch nicht in sein Sortiment auf

Klaus Gramlich

■ 51, ist Inhaber der Argument-Buchhandlung in der Reichenberger Straße in Kreuzberg.

taz: Herr Gramlich, heute erscheint Thilo Sarrazins Buch „Der neue Tugendterror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland“. Haben Sie es in Ihrem Sortiment?

Nein.

Warum nicht?

Weil ich die Vorstellungen von Sarrazin über die sozialkulturelle Verfasstheit dieser Gesellschaft nicht teile.

Haben Sie das mit Sarrazins vorherigen Büchern auch so gehalten?

Ja. Das neue Buch ist eine Fortführung der vorigen Bücher. Es geht um Minderheiten und Randgruppen, und die gesellschaftliche Verortung dieser Randgruppen durch Sarrazin empfinde ich als menschenverachtend.

Das Buch wird sich vermutlich gut verkaufen. Wollen Sie kein Geld machen?

Ich nehme kein Buch in mein Sortiment auf, dessen Kernbotschaft die Diskriminierung von Migranten, Schwulen, Lesben, Muslimen und sogenannten Leistungsunwilligen beinhaltet.

Wie weit geht die Freiheit eines Buchhändlers, Bücher von Verlagen abzulehnen?

Wenn jemand dieses Buch bestellt, verkaufe ich es ihm. Es geht mir nicht darum, ein Verbot über ein Buch auszusprechen. Ich will es nur nicht im Sortiment.

Was steht noch auf Ihrer Liste?

Es gibt keine Liste. Ich will nur niemandem eine Öffentlichkeit bieten, der behauptet, die Ursache zwischen Reichtum und Armut liege im unterschiedlichen Sparverhalten der Menschen, wie man in seinem neuen Buch nachlesen kann. Das ist zynisch und einfach nur blöd.

Auch andere Buchhandlungen werden auf Sarrazin verzichten. Wie finden Sie das?

Ich freue mich darüber. Sarrazin arbeitet an der Zustimmbarkeit von Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen, die politisch verfolgt werden und unsere Hilfe benötigen. Und daran, dass Menschen, die nicht zu den „Leistungsträgern“ zuzurechnen sind, von der sozialpolitischen Gestaltung von Gesellschaftlichkeit ausgeschlossen werden. Das ist mir zuwider. Zu meinem Bedauern muss man Sarrazin ernst nehmen – es reicht nicht zu sagen, bei ihm liegt eine Art Wahrnehmungsschaden vor. Er ist eine Schnittstelle, an der unterschiedliche rechtspopulistische Diskurse anknüpfen können. Das macht ihn gefährlich.

INTERVIEW: S. FRISCHMUTH