: Schmerzfrei mit Cannabis
Eine Hamburger Krankenkasse muss einem Schmerzpatienten fürs erste ein nicht zugelassenes Medikament bezahlen. Die Bundesrechtsprechung hat den Weg dazu geebnet: Wenn die Schulmedizin versagt, so die Richter, müssen dem Patienten Alternativen eröffnet werden
Bis vor kurzem war Stefan Mokken (Name geändert) einer von vielen Schmerzpatienten, dem im deutschen Gesundheitssystem nicht geholfen werden konnte – obwohl nach langer Suche eine erfolgreiche Behandlungsmethode zur Verfügung stand. Dem 50-Jährigen, der aufgrund schwerer Spastiken und eines geschädigten Halswirbels an erheblichen Schmerzen und dadurch auch an Appetitlosigkeit und Mangelernährung leidet, hilft „Dronabinol“: ein Medikament, das den Wirkstoff THC enthält – der aus der Cannabis-Pflanze gewonnen wird.
Seine Krankenkasse aber weigerte sich, die Kosten von einigen hundert Euro im Monat für die erforderliche Behandlung zu übernehmen. Erst nachdem der zeitweise auf 39 Kilogramm abgemagerte Mokken nach monatelangen Auseinandersetzungen im Verwaltungsverfahren mit einem Eilantrag vors Sozialgericht Hamburg gezogen war, erklärte sich die Krankenkasse nach einem Hinweis des Gerichts bereit, die Kosten für das Medikament zu übernehmen – vorläufig bis zum Abschluss des Prozesses, der vor dem Sozialgericht sicher noch einige Monate dauern wird.
Dass Stefan Mokken überhaupt eine Chance hat, das in Deutschland nicht zugelassene Medikament von seiner gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt zu bekommen, liegt vor allem an einer im Dezember vorigen Jahres ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die Karlsruher Richter hatten die Sozialrichter, welche die Klage eines an Muskeldystrophie erkrankten Jungen auf Übernahme der Kosten seiner nicht schulmedizinisch anerkannten Behandlung in letzter Instanz abgewiesen hatten, scharf gerügt. Es gehe nicht an, einen Menschen zur Versicherung in den gesetzlichen Krankenkassen zu verpflichten, „ihn andererseits aber, wenn er an einer lebensbedrohlichen oder gar regelmäßig tödlichen Krankheit leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen, von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode durch die Krankenkasse auszuschließen“ (Aktenzeichen: 1 BvR 347/98).
In Folge dieser Entscheidung hat mittlerweile auch das Bundessozialgericht seine Rechtsprechung geändert und in einigen Fällen geurteilt, dass ausnahmsweise Außenseiter-Therapien oder Behandlungen mit nicht in Deutschland zugelassenen Medikamenten – wie Dronabinol – von den Kassen finanziert werden müssen.
Voraussetzung der Kostenübernahme ist, dass es sich um eine lebensgefährliche oder lebensbedrohliche Erkrankung handelt, anerkannte Therapiealternativen nicht zur Verfügung stehen und die Behandlung Aussicht auf Erfolg verspricht. Welche Krankheiten als „lebensgefährlich“ gelten und in welchen Fällen anerkannt wird, dass sich ein Mensch in einer lebensbedrohlichen Lage befindet, ist von der Rechtsprechung noch nicht genau bestimmt. Es wird noch einige Zeit verstreichen, bis hier Maßstäbe gefunden sind und schwerkranke Patienten auch ohne kräftezehrenden Rechtsstreit die erforderliche Behandlung bezahlt bekommen.
Immerhin bestehen mittlerweile aber trotz der allgegenwärtigen Kostensenkungsdiskussion im Krankenversorgungswesen Chancen für schwer chronisch kranke Menschen, für Menschen mit fortschreitenden Behinderungen, mit Krebserkrankungen oder ungewöhnlich starken Schmerzen, dass sie die Übernahme der Kosten von Nicht- Standard-Therapien mit langem Atem und guter juristischer Beratung durchsetzen können. Oliver Tolmein
Der Autor ist Rechtsanwalt in Hamburg