: Steine des Anstoßes
Mehrere Gerichte beschäftigt zurzeit die Frage, wann das Abbilden eines Hakenkreuzes verboten ist. Dem muss sich jetzt auch der Ohlsdorfer Friedhof stellen. Dort stehen rund 30 inkriminierte Grabsteine aus der Zeit des Nationalsozialismus
Von Andreas Speit
Der Stein des Anstoßes ist gepflegt. Das Grab auf dem Ohlsdorfer Friedhof nahe der Kapelle 13 wirkt ordentlich. Kein Moos bedeckt den hellen Stein, und auch die Rhododendren-Hecken sind ordentlich zurückgeschnitten. Groß prangt ein Hakenkreuz im Zahnrad auf dem Stein. Auch das Hakenkreuz muss geputzt worden sein. Bis heute haben die Nachgeborenen den Grabstein gesäubert, der nun die Staatsanwaltschaft beschäftigt.
Jenes frisch polierte Hakenkreuz hat der Friedhofsbesucher Gottfried Sch. zufällig entdeckt. Ende Juli erstattete er Anzeige bei der Polizei. „Wir möchten kein Grab auf einem Friedhof haben, auf dem auch nur ein Grabstein mit Hakenkreuz steht“, erklärte er der taz. Allerdings: Unter den 273.000 Grabsteinen auf dem Gelände, erklärt Friedhofssprecher Lutz Rehkopf, befinden sich noch an die 30 Steine mit eindeutigen Symbolen. Zusätzlich seien mehrere Hundert Grabsteine mit Hakenkreuzen und SS-Runen versehen, die nur nicht auffielen, weil die Gräber zugewachsen sind.
Doch auch wenn dieses Symbol wie kein anderes zum Chiffre des Nationalsozialismus wurde, ist die Rechtslage unklar. Das Strafgesetzbuch verbietet das „Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen“. Die Rechtsabteilung des Friedhofes prüft jetzt genau, ob in diesem Fall das Delikt durch das „in Verkehr bringen eines verfassungsfeindlichen Symbols“ oder eine „Zurschaustellung eines verbotenen Symbols“ verwirklicht ist. Auch das Landeskriminalamt lotet die Rechtslage aus. Das inkriminierte Grabmal darf die Friedhofsverwaltung indes nicht einfach entfernen. „Die Grabsteine sind Privatbesitz“, erklärt Rehkopf. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatten sich allerdings viele Familien bemüht, die versteinerten Bekenntnisse ihrer Verstorbenen selbst schnell verschwinden zu lassen.
Der Problematik, dass Naziinsignien Grabsteine zieren, ist sich die Friedhofsverwaltung seit langem bewusst. Von 1981 bis 1986 inventarisierte eine Forschungsgruppe den Friedhof. 1990 wurde ein Katalog der Grabsteine veröffentlicht. Die Grabmale mit den NS-Symbolen lösten eine Diskussion um den Umgang mit diesen „sehr privaten Denkmalen des Zeitgeistes“ aus, berichtet die Kulturhistorikerin Barbara Leisner. Damals habe man diskutiert, sie einfach sicherzustellen, gesammelt zu platzieren oder kommentiert zu zeigen.
Bereits 1992 hatte der Historiker Herbert Diercks eine Studie verfasst mit dem Titel: „Friedhof Ohlsdorf. Auf den Spuren von Naziherrschaft und Widerstand“. Verschiedenste Grabmäler mit NS-Insignien werden darin vorgestellt und erklärt – auch der Stein, der nun die Strafanzeige auf sich gezogen hat. Diercks betont, dass die Grabsteine einmalige Spuren des Zeitgeschehens seien. Der Mitarbeiter der Gedenkstätte Neuengamme bietet regelmäßig Führungen an, um Zeichen und Zusammenhänge zu erklären. Der rechtliche Hintergrund ist jedoch kaum geklärt. „Wir haben das toleriert“, sagt Friedhofssprecher Rehkopf, denn „wo keine Kläger ...“
Die Frage, wann das Delikt des „Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen“ verwirklicht wird, beschäftigt die Gerichte zurzeit zuhauf – allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Mehrere Verfahren laufen zu der Frage, inwieweit Antifaschisten verfremdete Hakenkreuze zeigen dürfen. 1973 hatte der Bundesgerichtshof festgeschrieben, dass Abbildungen von Hakenkreuzen nicht strafbar seien, wenn diese „eindeutig die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus ausdrücken“. Dennoch wurden immer wieder Ermittlungsverfahren gegen Antifaschisten eingeleitet – zuletzt gegen den Filmregisseur Fatih Akin, der am Set ein Shirt mit dem Konterfei George Bushs und einem verfremdeten S im Namen zeigte.
Im Sommer 2005 war die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen den Internet-Punk-Verband „nix gut“ vorgegangen. Mit dessen Piktogrammen von Fäusten, die Hakenkreuze zerschlagen und Figuren, die sie in die Mülltonne werfen, würden verfassungsfeindliche Symbole verwendet. Dass ein Hammer das Hakenkreuz zerschlägt oder ein Keil es spaltet, ändere nichts an dessen Wahrnehmung. „Wir wollen das Hakenkreuz auch nicht in entstellter Form in der Öffentlichkeit sehen“, erklärte Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler der taz. Die Ermittler streben eine gerichtliche Klärung darüber an. Um eine höchstrichterliche Entscheidung zu erwirken, erhob die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Anklage gegen den Internetversand. Zwischenzeitig sind verschiedenste Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.
Um bis zur endgültigen Klärung keine rechtlichen Probleme zu bekommen, sortierte der Kreisjugendring Rems-Murr das Motiv eines Hakenkreuzes im Verbotsschild aus, das bei einer antifaschistischen Kampagne verwandt werden sollte. Beim Projekt „Denkanstoß Toleranz am Stammtisch“ hatten 250 Kinder und Jugendliche Bierdeckel mit diesem Motiv versehen. Die wurden wieder aus dem Verkehr gezogen. Das Landeskriminalamt wandte sich dennoch an Frank Baumeister vom Kreisjugendring. Auf der Website eines Jugendzentrums, das er verantwortet, hatten Beamte das Abbild eines Wahlplakates der Grünen mit Hakenkreuz entdeckt.
Auch das Gymnasium Halepaghen-Schule in Buxtehude geriet über seine Homepage in Kontakt zur Polizei. Auf der war der Polizei ein Strichmännchen aufgefallen, das ein Hakenkreuz in eine Mülltonne wirft. „Auf Anraten der Polizei wurde die Zeichnung gelöscht“, sagt Schulleiter Hans-Jürgen vom Maercker. Die Schüler selbst bringen dafür wenig Verständnis auf. „Vorauseilender Gehorsam“ meinten einige. Im Schuljahr 2005/2006 hatten die Schüler wegen ihres Engagements gerade den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ erhalten.