: Reißaus vorm neuen Tarifvertrag
Brandenburger Kommunen verlassen den Arbeitgeberverband. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft tritt die Flucht nach vorn an und fordert ein Notopfer von der Regierung. Der Marburger Bund droht mit weiteren Streiks
VON ANNA LEHMANN UND SOPHIE HAARHAUS
Der Verhandlungsführer der Arbeitgeber hatte es geahnt: „Das ist kein guter Tag für die Kliniken“, sagte Otto Foit gleich nach Unterzeichnung des Tarifvertrages für die Ärzte mit dem Marburger Bund am Donnerstag. Wie gestern bekannt wurde, versuchen einige Kommunen in Brandenburg den neuen Vertrag zu umgehen und haben ihren Vollmitgliedschaft im Arbeitgeberverband gekündigt.
So kündigte die brandenburgische Landeshauptstadt Potsdam an, den Tarifvertrag auf keinen Fall übernehmen zu wollen. Sie denkt nach Angaben von Bürgermeister Burkhard Exner an einen Haustarifvertrag. In Brandenburg und in Thüringen haben die kommunalen Arbeitgebervereine Hintertüren für ihre Mitglieder offen gelassen. In anderen Landesverbänden sind Spontan-Austritte nicht möglich.
Beim Marburger Bund, wo 50.000 der 70.000 bei den Kommunen angestellten Ärzte arbeiten, ist man milde irritiert. Über das Ausmaß der Tarifflucht wisse man noch nichts, sagt der Sprecher des Marburger Bundes, Athanasios Drougias. Doch Flucht sei zwecklos. „Wir rufen den Kliniken zu: Der Marburger Bund führt mit Sicherheit die Auseinandersetzung vor Ort.“ Und dabei gelten die gleichen Maßstäbe wie im frisch getroffenen Arrangement mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). Neue Streiks scheut der Marburger Bund nicht. „Es könnte auch zum Arbeitskampf kommen.“ Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, die ebenfalls Tarifinteressen des Krankenhauspersonals vertritt, ist alarmiert: „Das ist ein Versuchsballon, inwieweit die Arbeitgeber die Tarifbindung umgehen können“, meint Ver.di-Vertreter Georg Güttner-Mayer und kündigt an „Wir werden die Einhaltung des Tarifvertrages erstreiten.“
Die mit der Ärztegewerkschaft Marburger Bund ausgehandelten Bedingungen sehen Einkommensverbesserungen zwischen 1,5 und 4 Prozent vor – nach Lesart des Marburger Bundes. Die kommunalen Arbeitgeber beziffern die Mehrkosten für Arztgehälter auf 10 Prozent, etwa 500 Millionen Euro pro Jahr. Hinzu kommen Mehrkosten für das Krankenhauspersonal, das bei Ver.di organisiert ist. Die Dienstleistungsgewerkschaft hatte Anfang August einen neuen Tarifvertrag abgeschlossen.
Daraufhin hatte das Präsidium des kommunalen Arbeitgeberverbandes Brandenburg seinen 13 tarifgebundenen Krankenhäusern die Möglichkeit eröffnet, ihre Mitgliedsausweise mit dem Vermerk „o. T.“ – ohne Tarifbindung – versehen zu lassen. Das Angebot gelte noch bis Ende des Monats, deshalb wolle man auch nicht sagen, wie viele Krankenhäuser nun endgültig kündigen, sagte die stellvertretende Geschäftsführerin des Verbandes, Bärbel Gutstein. „Jede Tariferhöhung über ein bestimmtes Maß hinaus kostet Stellen, oder Häuser müssen verkauft werden“, begründet sie die Entscheidung. Über dieses Maß hinaus gehe eigentlich schon der Tarifvertrag mit Ver.di, erst recht jedoch der jüngste VKA-Abschluss, meint Gutstein. Während ein Facharzt laut Ver.di-Vertrag ein Anfangsgehalt von 4.300 Euro bekommt, kann er als Mitglied des Marburger Bundes 150 Euro mehr verlangen.
Die Kliniken in Angermünde und Prenzlau bezahlen schon seit Juni nicht mehr tarifgerecht. Zur Begründung sagt Geschäftsführerin Ingrid Greschus: „Wir konnten Tarifergebnisse in den letzten Jahren nicht mehr umsetzen oder nur verpätet.“ Es gebe seit Jahren eine Schere zwischen Krankenhausbudget und dem, was tariflich zu zahlen sei. Entlassungen schloss sie aber aus: „Weniger Personal geht nicht mehr. Wir können sonst nicht weiterarbeiten.“
Das Krankenhaus hat einen Haustarifvertrag geschlossen, wobei die Mitarbeiter freiwillig auf einen Teil ihres Gehalts verzichtet haben. Solche Notlagentarifverträge hat die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di mit vier Brandenburger Krankenhäusern geschlossen. Darunter auch die städtischen Kliniken in Forst in der Lausitz und Schwedt, an der Grenze zu Polen im Norden Brandenburgs.
Gestern war kein Mitglied der Geschäftsführung zu sprechen. „Wenn sich bestätigt, dass diese Häuser nun ganz aus der Arbeitgebervereinigung ausgetreten sind, ist das Harakiri“, erregt sich Ver.di-Vertreter Güttner-Mayer. Die Gewerkschaft würde von der Klinik natürlich das Gehalt zurückverlangen, auf das die Mitarbeiter freiwillig verzichtet hätten. „Das würde die sofortige Insolvenz bedeuten“, meint der Gewerkschafter.
In Thüringen hat der regionale Arbeitgeberverband noch keine Austrittsgesuche erhalten. Ein Statuswechsel wie in Brandenburg sei aber auch möglich, sagt eine Sprecherin: „Für die Kliniken ist das jetzt der Notanker.“ Die Arbeitgeber in Baden-Württemberg warnen vor solchen Rettungsmitteln. Bisher sei keiner ausgetreten, sagte ein Sprecher: „Das wäre sehr dumm. Sonst schickt Montgomery seine Truppen los.“ Gewerkschaftsforscher Josef Esser von der Universität Frankfurt billigt den Ärzten besonderes Druckpotenzial zu, denn sie gehören zu „Gruppen, die auf Grund ihres Berufes eine Monopolstellung haben.“
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft fordert ein Notopfer von der Bundesregierung: „Wir brauchen einen Sonderzuschlag in Höhe von 1,5 Milliarden Euro“, sagte Hauptgeschäftsführer Georg Baum zur taz. Außerdem prangerte er an, dass in Zeiten finanzieller Knappheit einige Krankenkassen Vermögen angehäuft haben. „Diese Krankenkassen müssen enteignet werden.“ Die Regierung lehnte zusätzliche Mittel ab.
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