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Auf Faustschlag folgen Fußtritte

Vier „rechtsextreme Mitläufer“ prügeln in Kiel einen 33-Jährigen krankenhausreif. Nach rascher Festnahme zeigt sich die Polizei über die Brutalität der Attacke wenig überrascht: Radikalisierung der Szene sei schon länger zu bemerken

Die Begegnung war zufällig. Am frühen Morgen gegen 0.30 Uhr trafen vergangenen Mittwoch an der Kreuzung von Kaiser- und Helmholtzstraße in Kiel fünf Männer aufeinander. Auf Verlangen verteilte ein 33-Jähriger noch Zigaretten an die anderen. Dann streckte ihn einer der vier anderen mit einem Faustschlag nieder. „Die Täter waren äußerst brutal“, sagt Polizeisprecher Uwe Voigt.

Vier Neonazis greifen einen Einzelnen an, nennenswertes Presseecho bleibt aus. Dabei hatte noch vor Monaten die jüngste Statistik zu „Straftaten mit rechtsextremen Hintergrund“ für viel Aufmerksamkeit gesorgt – stellte doch das Bundesinnenministerium einen „starken Anstieg von rechtsextremen Straf- und Gewalttaten“ fest. In der bundesweiten Statistik liegt Schleswig-Holstein bei den Fällen pro 100.000 Einwohner auf Platz 5. Immer wieder jedoch werden rechte Straftaten durch die Polizei nicht als solche erfasst. Anders im Fall aus Kiel: „Die Beschuldigten gelten als Mitläufer in der rechtsextremen Szene“, hebt Polizeisprecher Voigt hervor. Und dass sie das Klischee des Neonazis erfüllten: Glatze und Springerstiefel.

An jenem Abend hatte vielleicht schon dieses Äußere den 33-jährigen Geschädigten verängstigt. Eigentlich war der Deutsche gerade auf dem Nachhauseweg. Vielleicht hoffte er, durch die Herausgabe der Zigaretten Schlimmeres zu vermeiden. Vergebens: Auf den Faustschlag folgten Fußtritte. Die Täter „trafen ihn mehrfach ins Gesicht“, sagt Voigt. Währenddessen sollen sie volksverhetzende Parolen gerufen haben.

Das schwer verletzte Opfer wurde später von einem Passanten entdeckt, der die Polizei verständigte. Die Besatzung eines bald eintreffenden Streifenwagens war eigentlich auf dem Weg zu einem Lokal, wo die Rechten zuvor „Ärger“ gemacht hätten, so Voigt. Ein Zufall, der mit dazu führte, dass alle vier Tatverdächtigen kurze Zeit später festgenommen werden konnten.

Alle vier Neonazis – zwischen 18 und 26 Jahre alt – sind bereits wegen gefährlicher Körperverletzung aufgefallen. Ein 19- und ein 20-Jähriger wurden im Juli erst aus der Haft entlassen. Ein 18-Jähriger hat gerade eine Jugendstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung hinter sich, war am Tag zuvor auf Bewährung entlassen worden.

Der Geschädigte ist noch im Krankenhaus. Seine erlittenen schweren Trümmerbrüche des Kiefers werden mehrere Operationen erforderlich machen. Die Brutalität überrascht die Polizei nicht. Behörden und Opferberatungsstellen wissen seit längerem: Die Gewaltbereitschaft steigt. In der Region Kiel/Neumünster fällt die Szene zwischen NPD und Freien Kameradschaften immer wieder durch Straftaten auf. ANDREAS SPEIT

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