: Die Zukunft der Zehntklässler liegt im Nebel
Die Werner-Stephan-Oberschule gilt als preisverdächtig. Sie integriert behinderte Kinder, fördert Schüler ohne Deutschkenntnisse und hat zwei Schülerfirmen. Dennoch bekommt kaum ein Absolvent einen Ausbildungsplatz
Die Werner-Stephan-Oberschule (WSO) in Tempelhof gehört zu Berlins „Vorzeigehauptschulen“. Sie ist deshalb auch unter den 18 Kandidaten, die für den in diesem Jahr erstmals ausgeschriebenen „Deutschen Schulpreis“ der Robert-Bosch-Stiftung in Frage kommen.
Was drinsteckt, sieht man dem nicht besonders einladend wirkenden Schulgebäude von außen nicht an: Bedrohlich hoch und dunkelrot erhebt sich das Haupthaus auf einem schmucklosen Hof, die wie Provisorien wirkenden Nebengebäude haben den Charme vergammelter Plattenbauten. Doch wenn die Hardware auch abschreckt: Die Software scheint zu stimmen. Fast alle Schüler schaffen hier ihren Abschluss, und das will etwas heißen, denn einfach ist die Schülerschaft nicht.
300 Kinder und Jugendliche besuchen die Schule, 40 Prozent von ihnen sind nichtdeutscher Herkunftssprache. Die Werner-Stephan-Oberschule integriert in ihre Klassen nicht nur Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, sondern auch Schülerinnen und Schüler, die erst im Teenageralter nach Deutschland gekommen sind und deshalb über keine Deutschkenntnisse verfügen. Dazu gehören Kinder russischer Aussiedlerfamilien, aber auch Flüchtlinge, darunter ehemalige Kindersoldaten aus afrikanischen Ländern. Die Hauptschule hat aus diesem Grund eine etwas bessere Personalausstattung und kann in manchen Klassen oder Unterrichtsstunden mit der sogenannten Doppelsteckung arbeiten, bei der zwei Lehrer gleichzeitig eine Klasse betreuen.
Das Geheimnis der Werner-Stephan-Oberschule lautet: strenge Regeln, viel Kommunikation und Eigenverantwortung für die Schüler. Die Klassensprecher der Schule erarbeiten regelmäßig gemeinsam ein „Schulversprechen“, das unter anderem den Verzicht auf Gewalt und die Pflicht zu gegenseitigem Respekt beinhaltet. Mehr als ein Viertel der 300 Schülerinnen und Schüler sind außerdem zu Streitschlichtern ausgebildet. Sie schreiten bei Prügeleien oder Streitigkeiten sofort ein und erarbeiten mit den Streitenden eine Art Friedensvertrag, dessen Einhaltung bei späteren Treffen überprüft wird.
Besonders wichtig sind die zwei Schülerfirmen der Werner-Stephan-Oberschule, denn hier lernen die Jugendlichen, Verantwortung zu übernehmen. Eine gibt es seit über zehn Jahren: Schüler und Schülerinnen selber betreiben die Kantine der Hauptschule. Es gibt also Arbeit für Köche, aber auch Verwaltungs- und Verkaufstätigkeiten. Auch Schüler mit geistiger Behinderung oder besonderem Förderbedarf sind in die Arbeit in den Schülerfirmen eingebunden.
Angeregt durch den großen Erfolg dieser ersten Schülerfirma, gibt es seit einigen Jahren eine zweite, eine Holzwerkstatt, in der Memories, Vogelhäuschen oder Kalender hergestellt werden, die die Schüler unter anderem auf Weihnachtsmärkten verkaufen.
Dass dennoch in den vergangenen Jahren nur zwei oder drei Abgänger der Werner-Stephan-Oberschule einen Ausbildungsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt gefunden haben, wurmt Ruth Jordan, Klassenlehrerin der 10/3 und stellvertretende Leiterin der Hauptschule. Ändern kann sie das nicht, aber sie kann ein bisschen helfen: Die Lehrer der Abschlussklassen der Hauptschule legen großen Wert darauf, jeden ihrer Schüler wenigstens in eine weiterführende Maßnahme oder eine außerbetriebliche Ausbildung zu vermitteln.
Dennoch liegt die Zukunft der Zehntklässler im Nebel: Noch längst haben nicht alle zwölf konkrete Vorstellungen davon, was sie nach der Hauptschule machen werden. Und die Zuversicht, ihre Pläne tatsächlich verwirklichen zu können, fehlt manchen auch. Alke Wierth