: Hallo, Ihr „Peep“
Die schwedische Filmzensur hat noch vor ihrem 100. Geburtstag schlapp gemacht: Sie will sich selbst auflösen
Nicht alltäglich, dass sich Institutionen selbst auflösen wollen. In Schweden wollen nun die Filmzensoren nicht mehr. „Unzeitgemäß“ sei ihr Job geworden und eine „reine Symbolhandlung“, meldeten sich zwei von ihnen, Philosophiedoktor Ulf Dahlquist und Psychologe Anders Nyman, in der Stockholmer Tageszeitung Dagens Nyheter zu Wort. Filmzensur in Schweden? Natürlich gibt es auch hier ein verfassungsrechtliches Zensurverbot. Doch das Land hat tatsächlich die weltweit älteste Filmzensur.
Die Bilder hatten gerade erst laufen gelernt, da befürchtete man in Stockholm bereits, dass diese womöglich schädlich für die Moral des Volkes sein könnten. Seit 1911 durfte nur noch ins Kino, was vorher die ZensorInnen von „Statens Biografbyrå“ durchgewinkt und nicht weggeschnippelt hatten. Letzteres wurde bald ihre Hauptbeschäftigung: In den ersten Jahrzehnten verschwanden so alle Szenen, in denen Selbstmord, eheliche Untreue und dumme Polizisten dargestellt wurden. Dass Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ wegen möglicher aufrührerischer Wirkung auf die Arbeiterschaft ganz verboten wurde, mag noch nachvollziehbar sein. Aber auch Fritz Langs „M“ galt als zu harte Kost. Chaplins „Großer Diktator“ stand von 1940 bis 1945 auf dem Index – das neutrale Schweden wollte das „Dritte Reich“ nicht verärgern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg galt es dann, die SchwedInnen vor zu viel Gewalt und Sex zu schützen. Mehrere Western und Gangsterfilme sahen nie das Licht schwedischer Leinwände. Wenn im Original in Fellinis „La Dolce Vita“ „Hallo ihr Huren!“ gegrüßt wurden, hörten die SchwedInnen „Hallo ihr!“. Hitchcocks klassische Duschszene in „Psycho“ wurde trotz eines persönlichen Besuchs des Meisters im „Biografbyrå“ nicht abgenommen. Erst 1969, neun Jahre nach der Uraufführung, durften SchwedInnen erstmals den ganzen Film sehen.
Karatefilme wurden durchweg ganz verboten, Boxszenen regelmäßig herausgeschnitten. Auch in den 70er- und 80er-Jahren war die Zensur fleißig, selbst vor Astrid-Lindgren-Verfilmungen machte man nicht halt. Es sei doch wohl nachvollziehbar, dass Pippi Langstrumpfs häufiger Verzehr an Bonbons unter dem Gesichtspunkt der Zahngesundheit äußerst problematisch sei.
Noch 1989 meldete die Zensur als stolze Jahresbilanz: 24 Filme Totalverbot, 64 beschnitten. Beispielsweise als „zu physisch und psychisch erniedrigend“ eingeschätzt wurde die Szene, in der Kevin Kline in „Ein Fisch namens Wanda“ Michael Palin Pommes frites in die Nase steckt und dabei dessen Goldfische verspeist. In den Neunzigern schlaffte die Zensur langsam ab, seitdem fielen nur noch Pornos unter die Zensur.
Ihr eigenes Abschaffen begründen die Zensoren nun zum einen mit unklaren Vorgaben des Gesetzgebers, was eigentlich die Intentionen der Zensur seien. Diese setzten „unsere wissenschaftliche Ehre aufs Spiel“. Ihre eigene Kompetenz solle offensichtlich ein „wasserdichtes Alibi für die Legitimität und Glaubwürdigkeit von Beschlüssen liefern, die man eigentlich unmöglich fassen kann“. Zudem halten sie die Zensur für ein Unding, weil nur noch 5 Prozent aller Filme über das Kino, aber 95 Prozent über die nicht zensierten Kanäle Fernsehen, Video, DVD und Internet verbreitet würden: „Es ist damit der kleinste Distributionskanal, der noch der Zensur unterworfen ist.“ Ihr hundertjähriges Jubiläum wird die schwedische Filmzensur wohl nicht mehr feiern können. REINHARD WOLFF