Dubai, gleich um die Ecke bei Neukölln

THEATER Manchmal reicht ein löchriger Perserteppich als einziges Requisit: „Baba oder mein geraubtes Leben“ im Heimathafen Neukölln

Senin bekommt von seinem Bruder in Dubai nur zu hören, dass man mit Träumen kein Geld verdient

Burak Yigit kennt man. Diesen schlaksigen jungen Mann mit dem Wuschelkopf und dem ewigen Lächeln auf dem Gesicht hat man immer schon mal irgendwo gesehen – im Fernsehen, im Film, auf Plakaten. Das Seltsame ist, dass man ihn auch schon mal gesehen hat, wenn man noch nie in einem Film oder ein Stück mit ihm war und zu Hause gar keinen Fernseher mehr hat. Burak Yigit ist eine einprägsame Gestalt. Ein Typ. Ein guter Schauspieler, der auch das Stück „Baba“ im Heimathafen Neukölln trägt, denn da spielt er tatsächlich, und zwar die Hauptfigur.

„Baba oder mein geraubtes Leben“, inszeniert von Nicole Oder, ist ein kleines Stück erzähltes Leben, die Biografie eines Sohns irakischer Eltern, der von seiner deutschen Tante und Pflegemutter einst wegen dem Krieg aus dem Irak nach Darmstadt entführt wurde. Jetzt ist Sinan, so sein Name, Anfang 20, wohnt in Berlin, und seine neue Freundin, von Tanya Erartsin gegeben, ist schnell schwanger. Und er macht sich auf die Suche nach seinen Wurzeln.

Im Heimathafen sieht man sehr reduziertes Theater, aber die Schauspieler sind gut. Ein karger, weißer Theaterraum irgendwo im oberen Stockwerk, eine Zuschauertribüne, in deren vorderen Sitzen die Schauspielenden sich auch umziehen. Außer Burak Yigit ist das Ensemble im Wechsel dauerbeschäftigt – drei Frauen übernehmen sämtliche andere Rollen, egal, ob männlich oder weiblich. Familienmitglieder, die Mutter, die Freundin, die Mitbewohner.

Sascha Soydan spielt besonders die (irakische) Mutterfigur ausnehmend gut. Die Familie, die es irgendwann ins Exil nach ausgerechnet Dubai geschafft hat, ist wie alles andere hervorragend dargestellt – nämlich nach dem Prinzip überzeichneter Klischees, die so wahrscheinlich auch zutreffen. Das gebiert auch die Komik des Stücks. Szenenapplaus gab es für Inka Löwendorf, die u. a. eine Stewardess spielt, deren Sicherheitsgenuschel völlig unverständlich bleibt.

Die Geschichte selbst ist, so wahr sie sein mag, nämlich nicht mehr als eine wahrscheinliche. Die Verwicklungen und Konflikte sind vorauszusehen; Senin, der von der Schauspielerei träumt und im Zusammenhang von Kunst, Selbstverwirklichung und Geldprobleme das Stichwort „Karl Marx“ fallen lässt, bekommt von seinem wiedergefundenen Bruder in Dubai nur zu hören, dass man mit Träumen eben kein Geld verdient: „Dreams don’t make money“.

Das große Thema bleibt natürlich die Familie. Der Bruch mit derselben allerdings liegt gewissermaßen schon hinter der Hauptfigur oder findet erst in der Zukunft statt. Das Stück „Baba“, das sich auch um eine Leerstelle, den dauerhaft abwesenden Vater, den „Baba“ eben, dreht, bleibt bei der authentischen Geschichte.

Aber das macht nichts. Man kann einen löchrigen Perserteppich sehen und wie er in diversen Formen als einziges Bühnenrequisit taugen kann. Sich ein wenig an deutsche Frauen erinnern, die sich schon damals, als arabische Nationen noch für exotisch galten und nicht medial dauerpräsent waren, trauten, binationale Ehen einzugehen. Und sich ansonsten an dem hervorragenden Schauspiel des Ensembles – Erartsin, Löwendorf, Soydan und Yigit – erfreuen.

Eins vielleicht noch: Schade, dass der Heimathafen Neukölln in seinem tatsächlichen städtischen Umfeld noch immer eher wie ein großes Dickschiff wirkt. An der türkischen oder arabischen Community jedenfalls scheint auch dieses Stück trotz seiner Thematik eher vorbeizugehen. RENÉ HAMANN

■ Wieder am 27., 28. 2. und 12., 13., 18. und 22. 3., sowie 10. und 11. 4. im Heimathafen Neukölln