: „Ich weiß nicht, wie er drauf ist“
Rabiye Kurnaz, Mutter des in Guantánamo inhaftierten Bremers, hofft auf ein Wiedersehen am Mittwoch. Und dass ihr Sohn nicht die falschen Freunde hat
taz: Frau Kurnaz, Ihr Sohn Murat sitzt seit Januar 2002 im Gefangenenlager Guantánamo ein. Wann werden Sie ihn wiedersehen?
Rabiye Kurnaz: Wahrscheinlich am Mittwoch.
Sind Sie aufgeregt?
Sehr. Gerade nachts geht es mir sehr schlecht. Ich denke immer, vielleicht erkennt er seinen eigenen Bruder nicht mehr. Vielleicht kann ich ihn nicht erkennen.
Sie wissen nicht mehr, wie Ihr Sohn aussieht?
Nein. Ich habe ihn zuletzt vor fünf Jahren gesehen. Aber der amerikanische Anwalt, der ihn 2004 besuchen konnte, hat es mir ungefähr geschildert: Dass er lange Haare habe und einen langen Bart trage.
Murat Kurnaz hat bis zu seiner Gefangennahme zu Hause gewohnt. Hat er noch sein Zimmer?
Ja, das gibt es noch. Wir haben es aufgeräumt. Ich wollte es ein wenig verändern, aber viele haben gesagt: Ändere lieber nichts, wer weiß, wie Murat drauf ist. So kann er vielleicht mit seinen Gedanken zurückkommen, Erinnerungen suchen. Da hab ich gesagt: okay.
Planen Sie ein Fest?
Ich habe ein Essen bestellt. Aber das Wichtigste ist, dass er erst mal freikommt und seine Ruhe hat. Die meisten unserer Verwandten sind ohnehin derzeit in der Türkei, im Urlaub.
Sie nicht.
Wir sind extra hiergeblieben, wegen Murat. Damit wir ihn jederzeit abholen können.
Haben Sie Angst vor dem Wiedersehen?
Ich habe Angst, dass er krank ist. Er ist ja schon fast fünf Jahre da eingesperrt. Ich weiß nicht, wie er drauf ist. Mir geht alles mögliche durch den Kopf.
Sind Sie wütend auf die USA?
Eigentlich nicht, nein.
Warum? Die haben Ihren Sohn eingesperrt, seit fast fünf Jahren, ohne Anklage!
Ja, natürlich. Das ist schwierig zu erklären. Natürlich bin ich auch sauer, weil die so viele Unschuldige eingesperrt haben, die da für nichts büßen müssen. Aber ansonsten gibt es in den USA auch viele nette Leute. Ich kann nicht auf alle sauer sein.
In Deutschland läuft ein Ermittlungsverfahren gegen Ihren Sohn, wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Haben Sie manchmal Angst, dass er doch etwas mit islamistischen Fundamentalisten zu tun haben könnte?
Ich weiß es nicht. Natürlich, als Mutter hat man immer Angst. Ich mache mir Sorgen, hoffentlich hat er seine Lektion gelernt. Hoffentlich hat er nichts mit solchen Leuten zu tun. Hoffentlich kommt ihn keiner besuchen von diesen Menschen. Aber die lass ich sowieso nicht ins Haus. Ich möchte nicht, dass er mit solchen Leuten zusammenkommt.
Denken Sie bisweilen, dass Ihr Sohn doch irgend etwas falsch gemacht hat?
Nein. Er hat nichts falsch gemacht. Er ist immer ein hilfsbereiter Mensch gewesen. Er war einfach nur leichtsinnig.
Es ist nicht das erste Mal, dass von der Freilassung Ihres Sohnes die Rede ist. Sind Sie sicher, dass es diesmal klappt?
Ich glaube es erst, wenn ich ihn im Arm halte. Aber die Amerikaner und die Deutschen haben sich geeinigt, denke ich. Und irgendwann muss das doch auch zu Ende sein, nicht?
INTERVIEW: ARMIN SIMON