WIE IN KENIA EINMAL ALLE MOBILTELEFONE VERSTUMMTEN : Der Tod am Telefon
VON MARC ENGELHARDT
Seit Wochen vergeht in Nairobi kein Tag, ohne dass mindestens einer der vier Mobilfunkanbieter einen neuen Niedrigtarif anbietet. Wenn der eine nur noch drei Eurocent pro Minute kassiert, bietet der nächste Telefonieren zum Nulltarif an – für eine Grundgebühr von einem Euro pro Monat. In ganzseitigen Anzeigen tragen die Firmen ihren Preiskrieg aus. Am Arbeitsplatz, in Bussen oder im Café gibt es kaum ein anderes Gesprächsthema. Manch einer trägt in seiner Brieftasche vier SIM-Karten mit sich herum, um für jedes Angebot gerüstet zu sein. Regelmäßig sind die Netze überlastet, weil jeder ständig billig telefoniert. Unterm Strich sind die Kosten fürs Handy dadurch vermutlich angestiegen, doch im Getöse der Werbebotschaften merkt es kaum jemand.
Doch dann standen vor wenigen Tagen auf einmal alle Telefone still. In meiner Stamm-Kaffeebude, wo sich im Regelfall alle gegenseitig überbrüllen, um trotz des omnipräsenten Geschnatters zum jeweiligen Gesprächspartner durchzudringen, waren auf einmal die in den Bäumen singenden Vögel zu hören. Der Taxifahrer schwieg, anstatt wie sonst bei voller Fahrt Anrufe zu beantworten. Selbst am Busbahnhof unterhielten die wartenden Fahrgäste sich miteinander anstatt mit weit entfernten Freunden, die zufällig anriefen. Es zischte gedämpftes Flüstern durch die Menge. Bei genauem Hinhören wurde klar, dass sich alle nur über ein Thema unterhielten: Tod am Telefon.
Jeder hatte ein Detail beizutragen. „Ich habe von einem gehört, der auf Lamu gestorben ist“, sagte eine rundliche Markfrau. „Ich weiß von zwei Toten in Machakos“, setzte ein Geschäftsmann im Anzug nach. „In Mombasa soll es auch einen erwischt haben“, schaltete sich eine junge Brillenträgerin ein, deren Stimme nervös zitterte. Die Todesursache, da waren sich am Busbahnhof alle einig, war immer die gleiche: Das Handy klingelte und im Display leuchtete eine rote Nummer auf. Oder war es eine grüne Nummer oder eine besonders lange? Der Effekt jedenfalls war immer der gleiche. „Wer dann drangegangen ist“, flüstert mir ein Pfarrer in voller Montur ins Ohr, „dem haben Todesstrahlen das Gehirn weggebrannt.“
Hirnverbrannt, mag man denken. Tatsächlich sind heute, ein paar Tage später, viele Handys wieder eingeschaltet. Doch wenn ein Unbekannter anruft, geht man dennoch lieber nicht dran. Ein befreundeter Uni-Professor spricht aus, was viele denken: „Ich glaube nicht an den Tod am Handy – trotzdem bin ich lieber vorsichtig.“