: Fremde Identitäten leihen
Nordrhein-Westfalen hat einen neuen Musikpreis. 120 Bands stellten sich der Jury. In Dortmund wird die 2.000 Euro-Creole für gute Weltmusik verliehen. Was immer Weltmusik auch sein mag
AUS DORTMUNDNATALIE WIESMANN
Asiatischer Freesstyle gegen ukrainische Hexengesänge. Nordrhein-Westfalen wird jetzt zur Battle-Bühne. 24 Bands wetteifern vom 7. bis 10. September im Dortmunder Jazzclub „Domicil“ um den ersten „creole-Preis für Weltmusik aus NRW“. Auch weitere Wege lohnen sich wohl. Die Sieger-Creole ist mit 2.000 Euro dotiert. Auch der Bundeswettbewerb um den Weltmusik-Pokal findet im nächsten Jahr in Dortmund statt. Dann werden die Sieger aus neun Bundesländern gegeneinander antreten.
Wegen der vergoldeten Creaole haben sich immerhin 120 NRW-Bands für den Wettbewerb beworben. Auch wenn die Informationen beim ersten Mal schwierig an die Musiker zu bringen waren. „Da es diesen Preis bisher nicht gab, mussten wir in Proberäumen und Musikzentren recherchieren und für uns werben“, sagt Projektleiterin Birgit Ellinghaus. Sie kennt sich auf der Szene aus, betreibt eine Agentur für Weltmusik in Köln und organisiert Konzertreihen im Land.
Martin Greve, Berliner Musikwissenschaftler und Vorsitzender der Jury, war schon bei der Vorauswahl extrem beeindruckt. „Wir hätten nie so viel Vielschichtigkeit erwartet,“ sagt er. Dabei sei es schwierig gewesen, Weltmusik zu Jazz oder anderen Musikarten abzugrenzen. Ein echtes Problem, dass in der letzten Zeit bundesweit Musikwissenschaftler wie Musiker beschäftigt. Die Jury habe sich nur darauf einigen können, dass „ethnische oder regionale Wurzeln deutlich erkennbar sein müssen“, so Greve.
Richtig regionale Wurzeln hat die ausgewählte Kölner Gruppe Alpcologne. Sie produziert mit riesigen Alphörnern und einer italo-amerikanische Sängerin Schunkelmusik, aber auch Tango- oder Meditations-Soundteppiche. Aber auch die Einstürzenden Heuschober vom Niederrhein, die mit einer „rheinisch-westfälischen Volksmusikdisco“ für sich werben: „Polken, polken, polken – VolXmusik ist Rock‘n‘Roll, Baby!“
Die gesamte Weltmusikszene in Deutschland ist in Bewegung“, sagt Greve. Und sie sei reifer geworden. Bands, die mit ethnischen Elementen aus Asien, Afrika oder Lateinamerika arbeiteten, setzten sich auch zunehmend aus Musikern und Musikerinnen unterschiedlicher Herkunft zusammen. „Vor zehn Jahren spielte jede Ethnie ihre eigene Ghetto-Volksmusik“, sagt der Jury-Chef. Auch der Anteil der Deutschen ohne Migrationshintergrund in den Bands steige: „Die stellen schon mehr als die Hälfte der Musiker.“ Gerade die Weltmusik bietet ein großes Potenzial für Improvisationen. Das wird von den Wettbewerbsteilnehmern auch stark genutzt. „Das war wie eine Explosion, die Stilvielfalt hat uns umgehauen“, sagt Michael Rappe, der auch in der Vorjury saß. Der Manager des Kasseler Kulturzentrums Schlachthof und Professor für Poptheorie an der Musikhochschule Köln, sieht zudem eine neue „Identitätspolitik“ bei den Musikern: „Es ist zunehmend normal, sich Herkunft zu leihen, verschiedene Musiksprachen zu benutzen.“ Un so folgen bei den Bands auf persische Frauenstimmen auch mal polnische Chanson oder anatolischer Jazz.
Das Kulturbüro Dortmund hat den Wettbewerb in das bisher für musikalische Avantgarde eher unscheinbare Dortmund geholt. Claudia Kokoschka organisiert auch das alljährliche Microfestival, an dem zwei Tage lang Bands aus aller Welt auftreten. „Dortmund ist Musikstadt, aber das hat sich noch nicht herumgesprochen“, sagt Kokoschka. „Die Stadt liege im Herzen von NRW und zeige ein große musikalische Dynamik. Auch die Kölnerin Birgit Ellinghaus ist mit dem Austragungsort zufrieden.