: Dr. Heines schlägt zurück
In einem TV-Beitrag bezeichnet der Gründer der Privatklinik die ehemalige Patientin Vera Stein als „aggressive Psychopathin“. Die wurde in den 70ern in der Klinik gegen ihren Willen behandelt
von Eiken Bruhn
Vera Stein ist ein Psychiatrieopfer. Das hat zuletzt im April der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt. Weil sie mit Hilfe deutscher Behörden in den 70er-Jahren gegen ihren Willen in der Bremer Psychiatrie-Privatklinik „Dr. Heines“ festgehalten wurde, muss die Bundesrepublik Deutschland ihr rund 93.000 Euro zahlen.
Gutachten belegen, dass die Zwangsbehandlung der heute 48-Jährigen mit Medikamenten zu schweren Behinderungen führte. Zudem war sie als Teenager nicht psychisch krank oder gar schizophren, wie die Ärzte damals diagnostizierten, sondern nur aufmüpfig. Dessen ungeachtet hat vergangene Woche der damalige Chefarzt und Gründer der Klinik, Karl-Dieter Heines, in einem Fernsehbeitrag von Radio Bremen seine ehemalige Patientin Vera Stein zur Psychopathin erklärt. „Es gibt den Begriff der aggressiven Psychopathie“, sagt Heines, als er auf Vera Stein angesprochen wird und erklärt, was sich seiner Ansicht nach hinter dem Begriff verbirgt: „Eine abnorme Persönlichkeit mit aggressiven Tendenzen.“
Dann deklariert er Vera Steins Kampf um Gerechtigkeit noch zu einem Rachfeldzug gegen ihn. „Ausgerechnet diese Frau hat das in sehr wenig schöner Weise mit mir zu machen versucht.“ Es bleibt offen, was genau er damit meint, aber der Zuschauer erfährt noch, dass das Oberlandesgericht Bremen festgestellt hat, der Klinikgründer sei für Vera Steins Qualen persönlich nicht zu belangen. Danach wechselt der Bericht nahtlos zu Heines sozialem Engagement.
Die „aggressive Psychopathin“, die genau wegen solcher Aussagen stets ihr Pseudonym „Vera Stein“ verwendet, rätselt jetzt darüber, warum das TV-Magazin „buten un binnen“ Heines diskreditierende Worte unhinterfragt gesendet hat. „Das wäre, als würde ich behaupten, Heines sei ein seniler Alzheimergreis – was ich niemals tun würde, selbst wenn er es wäre.“ Zumal das Urteil des Europäischen Gerichtshofs nicht erwähnt wird, wie der Bremer Jurist Helmut Pollähne kritisiert. „Dadurch entsteht doch beim Zuschauer der Eindruck, es handle sich bei Frau Stein um eine Verrückte, die ohne Grund einen unbescholtenen Arzt beziehungsweise seine Klinik verfolgt“, sagt Pollähne, der die Betroffene kennen gelernt hat, weil er sich als Experte für Psychiatrie und Recht für ihren Fall interessiert hatte.
„Skandalös“ findet er außerdem, wie der Arzt über seine ehemalige Patientin spricht und die Redaktion nicht nachhakt. „Ich weiß gar nicht, was ‚aggressive Psychopathie‘ sein soll, die Diagnose gibt es gar nicht“, sagt der Wissenschaftler der Universität Bremen. „Vera Stein war weder damals noch heute psychopathisch.“ Pollähne glaubt, dass es Heines darum ging, sich von der unangenehmen Geschichte mit einem Rundumschlag gegen Vera Stein zu distanzieren. Obwohl er diesen Versuch für aussichtslos hält: „Will er etwa behaupten, dass sich der Europäische Gerichtshof von einer ‚Psychopathin‘ hat blenden lassen?“
Karl-Dieter Heines war nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Die Autorin des Beitrags, Marianne Strauch, kann die Aufregung nicht nachvollziehen. Schließlich habe sie Heines Statement zu Stein mit den Worten eingeleitet „er schiebt die Vorwürfe auf das Krankheitsbild“. Der Mediziner diskreditiere sich damit selbst und für die Zuschauer werde sichtbar, wie sich jemand der Auseinandersetzung verweigert. Weder sie noch die Redaktion habe beabsichtigt, Vera Stein als Psychopathin darzustellen, sagt sie. Das Urteil des Europäischen Menschenrechts-Gerichtshofes habe man nicht erwähnt, weil es dafür in dem Fünf-Minuten-Beitrag keinen Platz gegeben habe. Immerhin ist ein Fünftel des Stücks der Geschichte gewidmet. „Es sollte ein Porträt von Dr. Heines sein. Vera Stein war dabei ein Aspekt, der auf jeden Fall hineingehörte, aber eben nur einer unter vielen.“ Strauch verweist darauf, dass buten un binnen in der Vergangenheit ausführlich über Vera Stein und ihre gerichtlichen Erfolge berichtet hat.
Vera Steins Anwälte prüfen jetzt, ob sie Heines wegen Verleumdung verklagen. Außerdem warten sie darauf, dass ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen die „Dr. Heines Klinik“ ermöglicht. Das Bremer Oberlandesgericht hatte ihre Klage zuletzt abgewiesen, mit der Begründung, Psychiatrie in den 70ern sei „halt so“ gewesen.
Karl-Dieter Heines beobachtet unterdessen von seiner Villa auf dem Klinikgelände aus Patienten wie andere Leute Vögel. Auf Lebenszeit darf der heute 86-Jährige dort wohnen, obwohl die Klinik mittlerweile dem Ameos-Konzern gehört. Er habe in seinem Leben viel Glück gehabt, sagt er. Vera Stein nicht.