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Zuvorkommende Slow Motion

Bild-, aber nicht wirklich abendfüllende Fototapete: Michael Mann hat seine eigene Serie verfilmt, die in den 1980er-Jahren Fernsehgeschichte machte. Leider vergisst er dabei die Qualitäten, die „Miami Vice“ einst auszeichneten, etwa den strikten, jede TUI-Prospekt-Ästhetik negierenden Regionalismus

VON ANKE LEWEKE

Mitte der Achtzigerjahre machte sich eine völlig neue Ästhetik auf dem kleinen Bildschirm breit. Michael Mann, der Schöpfer von „Miami Vice“, führte uns mit einer grellen Farbdramaturgie, modebewussten Helden und knalligem Sound vor Augen und Ohren, dass auch der Fernsehapparat Styling und Rasanz zulässt. Der schnell geschnittene Vorspann mit pinkfarbenen Flamingos, Palmenalleen im Sonnenuntergang, leicht bekleideten Frauen und Hubschrauberfahrten über weiße Sandstrände nahm bereits die Optik des im Anmarsch befindlichen Videoclips vorweg. Immer wieder gönnten sich einzelne Folgen Auszeiten, Szenen, in denen einfach nur Stimmung angesagt war: Minutenlang hing sich die Kamera dann an Officer Crocketts Speedboot, Musik und Motor röhrten um die Wette, und alles war pure Geschwindigkeit.

Auch wenn man ein großschnäuzig agierendes Polizistenduo schon aus Serien wie „Die zwei“ oder „Starsky & Hutch“ kannte, brachten Manns Helden eine andere Coolness und Ironie ins Spiel. Auf einem Segelboot im Hafen mit fauchendem Alligator zu wohnen, zeugt durchaus von einer selbstbewussten Stilisierung als Lonesome Hero. Zudem mutete Don Johnson alias Crockett dem Zuschauer mit hellblau changierenden Flanellanzügen, weißen Socken und Slippern einen eher gewöhnungsbedürftigen Anblick zu. Dabei standen das im Rückblick recht peinliche Outfit, effekthascherische Farbkompositionen und schnittige Fahrzeuge im merkwürdigen Gegensatz zum Grundpessimismus der Serie. Nicht nur in der Optik, auch in der Figurenzeichnung besaß „Miami Vice“ avantgardistische Qualität. In ihrer Entschlossenheit, den Drogenhandel mit allen, aber auch allen Mitteln zu bekämpfen, brachten die Undercoveragenten Crockett und Tubbs die knallharte Siebzigerjahre-Mentalität eines Eastwood oder Bronson in die Fernsehkultur ein. Zugleich erlaubte sich „Miami Vice“ einen ungewohnt radikalen Blick auf den alltäglichen Rassismus im Sunshine-State, auf Polizei- und Behördenkorruption, auf die Geldwaschanlage Miami und ihre aus Koksgeld gebauten Hochhauslandschaften. Folgerichtig hingen Crockett und Tubbs in der letzten Folge ihre Dienstmarke endgültig resigniert an den Nagel.

Was also um alles in der Welt mag in Michael Mann gefahren sein, dass er sein stilbildendes Duo nun in Eigenregie wieder auferstehen ließ? Vielmehr als ein 150 Millionen Dollar schweres Update des Jahres 2006 ist dabei nicht herausgekommen. Der Film zur Serie führt vor, dass der Mann von heute dezente Farben bevorzugt und wie Colin Farrell nun den Viertagebart zu sorgfältig ungewaschenen Haaren trägt. Mit ihren feinen Stöffchen scheinen dieser Crockett-Nachfolger und Jamie Foxx als Tubbs ohnehin direkt vom Laufsteg in die ausgiebigen Verfolgungsjagden der Kinofassung zu stolzieren. Ihre lässige Handhabe der Waffen macht selbst die überdimensionale Wumme zum modischen Accessoire, und auch den Hasskappen, die sich die beiden in einer Szene überziehen, fehlt nur noch das Schildchen eines berühmten Labels.

Zugegeben, als Fototapete würde jedes einzelne Bild dieses Films seine Wirkung entfalten. Etwa die Nachtaufnahmen, bei denen sich die Lichter der Großstadt in der Frontscheibe des Autos spiegeln und dem Gesicht des Fahrers melancholischen Glamour verleihen. Stylish heißt auch das Zauberwort bei der Inszenierung der Gewalt. Die Kugel lässt sich viel Zeit, bis sie sich in die Köpfe bohrt, und die Kamera legt noch eine zuvorkommende Slow Motion drauf, damit man den Einschlag ja nicht verpasst. Weil das Bild sauber bleiben muss, springt die Aufmerksamkeit prompt zur nächsten Action über. Vielleicht waren es solche Einstellungen, die die New York Times von gewalttätigen Tableaus mit wagnerianischer Wirkung schwärmen ließ.

Der extreme Stilwille des Films lässt den Kampf gegen Drogen und Korruption jedoch zur Pose und reinen Choreografie erstarren. Michael Mann, einer der wichtigsten Stilisten und Manieristen des amerikanischen Genre-Kinos, sieht in „Miami Vice“ nur noch die flotte Nummernrevue, die große, aber auch leere Feier der Oberfläche.

Crockett und Tubbs wirken in den glitzernden Großstadtbildern nicht verloren, weil ihre Feinde übermächtig sind, sondern weil ihr Regisseur sie wie edles lebloses Design behandelt, das man wahlweise unter die Dusche, zu Gong Li, der Braut des Oberbösewichts, oder durch das wild wummernde Lichtermeer eines eleganten Clubs schickt. Damit ihr Regisseur noch aufregendere Bilder, noch grandiosere Luftaufnahmen von einem Wasserfall einfangen oder Havanna bei Sonnenuntergang zeigen kann, müssen Crockett und Tubbs sich gar als Wächter über Mittel- und Lateinamerika aufspielen und gegen eine unübersichtliche Bande größenwahnsinniger Gegner kämpfen. Dabei bestand der Charme der Serie nicht zuletzt in einem konsequenten Regionalismus, dem jegliche James-Bond-Attitüden und TUI-Prospekt-Ästhetik fern lagen. Irgendwann kommt der Rheinländerin in mir ein altes Karnevalslied in den Sinn. Der Ortsname ausgetauscht und schon ist alles gesagt: „Ach wärst du doch in Miami geblieben …“

„Miami Vice“. Regie: Michael Mann. Mit Colin Farrell, Jamie Foxx, Gong Li u. a., USA 2006, 133 Min.

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