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Archiv-Artikel

Pilotprojekt für Populärmusik

BERLIN MUSIC WEEK Die Ohren des Senats sind aufgesperrt für die Clubkultur, seit er sieht, wie damit Geld in die Stadt kommt. Die Berlin Music Week, die seit Montag läuft, ist eine neue Dachmarke für gemeinsame Präsentationen

Indies und Majors, Einzelkämpfer und Verbände präsentieren sich erstmals gemeinsam unter einem Label

VON SIMONE JUNG

Seit zwanzig Jahren wird in Berlin gefeiert wie in keiner anderen Stadt. Berlin ist die Clubmetropole. Was in der Nachwendezeit mit der unangemeldeten Nutzung von Leerständen und Freiflächen begann, hat sich in eine etablierte Clubszene gewandelt. Läden wie Berghain, Tresor, Bar 25 oder das Watergate, die von dem britischen Magazin DJ Mag auf seine Liste der international führenden Clubs gekürt wurden, lassen Berlin heute weltweit als popkulturelle Metropole erscheinen. Der als verdrogt verschrienen Subkulturschublade ist die Berliner Musik- und Clubszene längst entwachsen. Sie gilt nicht mehr allein als Kulturgut und Impulsgeber für neue musikalische Entwicklungen, sondern auch als ein wichtiger Wirtschaftsfaktor der Stadt.

Die Berliner Musikwirtschaft setzt jährlich rund eine Milliarde Euro um. Davon profitieren neben Musikern und Komponisten auch die mittelständischen Unternehmen wie Instrumentenhersteller, der Fachhandel, Musikverlage oder die Tonträgerindustrie. Laut einer im Auftrag des Senats erstellten Studie hatten im Jahr 2005 allein die insgesamt 300 Clubs in Berlin einen Umsatz von rund 170 Millionen Euro. Über 8.000 Arbeitsplätze wurden hier geschaffen, heißt es in der Studie, die Tendenz sei steigend. Darüber hinaus lassen hunderte von Technotouristen jedes Wochenende ihr Geld in den vielen Hotels, Restaurants und Geschäften dieser Stadt.

Die Bedeutung der Clubkultur und der damit verbundene ökonomische Effekt für die Stadt hat inzwischen auch das Land Berlin erkannt. Nachdem Berlin bereits in der Vergangenheit mit der Clubszene als Standortfaktor warb und ein Referendariat für Musikwirtschaft ins Leben rief, unterstützt der zuständige Senat für Wirtschaft nun erstmals die Berlin Music Week. Er wirkt fördernd bei der Marketing- und Öffentlichkeitsarbeit mit. Dieser Zusammenschluss von Aktivitäten der Musikwirtschaft zu einem übergreifenden großen Auftritt ist nicht zuletzt der Berlin Music Commission (BMC) zu verdanken, die sich nach der Absage der Popkomm im letzten Jahr mit dem Partnernetzwerk Club Commission und der Senatsverwaltung für Wirtschaft an einen runden Tisch setzte, um gemeinsam ein neues Konzept zu erarbeiten.

Die Berlin Music Week, die gestern begann, integriert als Dachmarke höchst unterschiedliche Formate wie die Popkomm, den Kongress All2gethernow, die Clubnacht und das Berlin Festival. Damit präsentieren sich Indies und Majors, Underground und Establishment, Einzelkämpfer und Verbände erstmals gemeinsam unter einem Label. Die Berlin Music Commission ist eine Art Lobbyorganisation, die schon lange, zwischen Musikwirtschaft und Senat vermittelnd, für Berlin als Musikstandort kämpft und die Gleichberechtigung der Musikbranche mit anderen Wirtschaftszweigen einfordert. Mit der Berlin Music Week ist ein erster Schritt in diese Richtung getan. „In der Zusammenarbeit mit der Berliner Politik sind wir letztes Jahr weitergekommen als in den 15 Jahren zuvor“, sagt Olaf Kretschmar, Vorsitzender der BMC, auch bekannt als Gründer von Clubs wie Delicious Doughnuts und Oxymoron.

Zunächst ist die Berlin Music Week aber ein Pilotprojekt. Ob sie fester Bestandteil des jährlichen Haushaltsplans des Landes Berlin wird, ist noch offen. „Es läuft bisher alles über die Projektebene. In der langfristigen strategischen Absicherung der Förderung von Populärmusik hat sich noch nichts getan. Das ist unser großes Aufgabenfeld“, beschreibt Kretschmar seine politischen Ziele für die Zukunft. Zudem müssten Branchennetzwerke unterstützt werden.

Denn ohne ein funktionierendes Sprachrohr, das die Interessen der einzelnen Akteure wie Künstler, Veranstalter und Betreiber bündelt und der Politik vermittelt, könne ein so komplexes Gebilde wie die Berliner Musik- und Clubkultur nicht aufrechterhalten werden. Die Berlin Music Week lässt die einzelnen Akteure und Nischen der Musikbranche näher zusammenrücken und wird den Status von Berlin als Musikhauptstadt auch international festigen.

Doch was ist mit den kleinen Clubs? Diese haben neben einer sozialen auch eine kulturelle Funktion, indem sie heranwachsenden Künstlern eine Plattform geben, sich auszuprobieren, bevor sie größere Hallen bespielen. Die experimentellen Freiräume, für die Berlin bekannt ist, verengen sich zunehmend, bezahlbare Räume in zentraler Lage zu finden erweist sich als immer schwieriger. Viele Clubbetreiber klagen schon lange über eine Verwaltung, die ihnen Genehmigungen und den Betrieb schwer machen; notwendige Sanierungsmaßnahmen sind auch mit Zuschüssen kaum zu bezahlen. Nicht selten haben die Betreiber den Eindruck, dass die Behörden ihre Bedürfnisse weniger ernst nehmen als die von anderen Gewerbetreibenden oder Mietern.

Wird der Senat auch zunehmend offener, wie die Berlin Music Week zeigt, so muss hier doch noch einiges passieren. Denn es ist nicht das Entertainmentangebot einer O2 World Arena, es sind die subkulturellen Orte, die für kulturelle Vielfalt und die damit einhergehende Toleranz stehen.

■ Die Berlin Music Week feiert vom 6. bis 12. September ihre Premiere. Fachpublikum und Fans wird eine Fülle von Liveshows, Diskussionsveranstaltungen, Workshops und Clubabenden geboten. Programm: www.berlin-music-week.de