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Archiv-Artikel

„Dem Leben in Freiheit angenähert“

SICHERUNGSVERWAHRUNG Der rheinland-pfälzische Justizminister Heinz-Georg Bamberger (SPD) plant eine neue Anstalt nur für Sicherungsverwahrte. Der schwarz-gelben Bundesregierung hilft das aber wenig

Heinz-Georg Bamberger

■ Der 63-jährige SPD-Politiker ist seit dem Jahr 2006 Justizminister von Rheinland-Pfalz. Zuvor war Bamberger Präsident des Oberlandesgerichts Koblenz.

taz: Herr Bamberger, als erstes Bundesland plant Rheinland-Pfalz eine Einrichtung ausschließlich für die Sicherungsverwahrung. Warum?

Heinz-Georg Bamberger: Die Sicherungsverwahrung muss sich deutlich vom Vollzug der Strafhaft unterscheiden. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon 2004 erklärt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das 2009 noch bestärkt. Deshalb planen wir einen Neubau.

Warum sollen Verwahrte besser behandelt werden als Strafgefangene?

Wer in der Sicherungsverwahrung sitzt, hat seine Strafe ja bereits verbüßt. Er wird aber nicht freigelassen, weil er noch als gefährlich gilt. So eine rein vorsorgliche Inhaftierung muss sich deutlich von der Haft als Strafe unterscheiden.

Was heißt das konkret?

Die Zellen müssen größer sein, wohnlicher. Die Insassen müssen wählen können, ob sie allein leben wollen oder in einer Wohngruppe mit anderen. Die Sicherungsverwahrten sollen ein Leben führen können, das dem Leben in Freiheit angenähert ist.

Warum dauert es so lange, die Karlsruher Vorgaben umzusetzen? 2004 ist lange her …

Bisher sind die Sicherungsverwahrten in normalen Haftanstalten untergebracht. Da ist eine Differenzierung schwer. Um echte Verbesserungen zu ermöglichen, haben wir uns jetzt entschlossen, ein ganz neues Gebäude nur für Sicherungsverwahrte zu bauen.

Wo soll die neue Anstalt stehen?

In Diez bei Limburg, auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt, wo die rheinland-pfälzischen Sicherungsverwahrten auch bisher untergebracht sind. Innerhalb der Mauern ist noch viel Platz. Derzeit läuft eine Machbarkeitsstudie.

Sie wollen also nur ein neues Haus am alten Ort bauen?

Vieles spricht dafür. So müssen Mauern und Eingangskontrollen nicht neu gebaut werden. Auch Einrichtungen und Personal für Arbeit und Therapie können mitgenutzt werden.

Wäre es auch schwer geworden, eine neue Kommune zu finden, die sich über so eine Einrichtung freut?

Es ist schwierig, für solch eine Einrichtung allgemeines Verständnis zu finden.

Ist die neue Anstalt nur für Ihr Bundesland gedacht?

Derzeit haben wir in Rheinland-Pfalz 38 Sicherungsverwahrte. Aufgrund bereits ergangener Strafurteile wird sich ihre Zahl in den nächsten Jahren auf 70 fast verdoppeln. Dennoch können wir auch Personen aus anderen Bundesländern aufnehmen, denn der neue Bau soll Platz für knapp hundert Personen bieten. Die Sicherungsverwahrten aus dem Saarland sind heute schon in Diez.

Sicherungsverwahrung

 Ziel: Mit der Sicherungsverwahrung soll die Bevölkerung vor besonders gefährlichen Tätern geschützt werden, die ihre Haftstrafe schon abgesessen haben.

 Zwist: Umstritten ist die nachträgliche Sicherungsverwahrung, die seit 2004 möglich ist. Nach einem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs müssen die Regeln reformiert werden.

 Zahlen: Laut Statistischem Bundesamt saßen zum 31. März 2009 insgesamt 491 Menschen in Sicherungsverwahrung. (dpa)

Die Bundesregierung plant ein Gesetz zur Unterbringung von „psychisch gestörten Gewalttätern“. Wären solche Personen auch ein Fall für die neue Anstalt?

Nein. Auf der Grundlage der heutigen Planungen und Überlegungen halten wir es für möglich, dass das neue Gebäude bis Ende 2013 bezogen werden kann. Die Bundesregierung will aber Personen unterbringen, die wegen der Rechtsprechung des Gerichtshofs für Menschenrechte kurzfristig aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen. Das passt zeitlich nicht.

Wo sollen die „psychisch gestörten Gewalttäter“, die die Bundesregierung im Blick hat, denn sonst untergebracht werden?

Das wüsste die Bundesregierung wohl selbst gerne. Der Ministerrat in Rheinland-Pfalz hat gerade eine Arbeitsgruppe aus drei Ministerien eingesetzt, die Vorschläge erarbeiten soll. Es dürfte problematisch sein, die angesprochenen Personen einfach in der derzeitigen Form der Sicherungsverwahrung zu belassen.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH