Eine Frau sieht rot

RETRO Sie arbeitete mit Roy Lichtenstein zusammen und machte Konzeptkunst. Dann revolutionierte sie den Genre-Film. Das Arsenal zeigt im März eine Retrospektive der großen Regisseurin Kathryn Bigelow

Das Glas splittert effektvoll, die Kunden des Supermarktes gehen in Deckung

VON ANKE LEWEKE

Man kann es nicht anders sagen: Mit brachialer Gewalt mischte Kathryn Bigelow Anfang der neunziger Jahre die feministische Filmtheorie auf. Endlich erschien in Gestalt der von Jamie Lee Curtis gespielten Polizistin Megan Turner eine weibliche Actionheldin auf der Leinwand. Was für ein Auftritt!

Zu Beginn von „Blue Steel“ begutachtet sich Megan stolz in ihrem frisch gebügelten Bullenoutfit im Spiegel, lächelt sich herausfordernd an. Die Haare hat sie streng nach hinten gebunden, energisch bindet sich die junge Frau die auf Hochglanz geputzten Schuhe zu. Megan hat es geschafft, gegen den Willen ihres Vaters ist sie Cop in New York geworden. Mit ihr freut sich auch die Zuschauerin in der Hoffnung, dass endlich eine weibliche Identifikationsfigur mit den dumpf-sexistischen und patriarchalischen Strukturen des Genre-Kinos aufräumt. Und was tut Megan? Schon bei ihrer ersten Streife sieht sie rot, feuert bei einem Supermarktüberfall gleich das ganze Magazin leer.

Doch bevor man überhaupt überlegen kann, ob hier eine Frau doch nur in die allzu ausgetretenen Fußstapfen männlicher Vorbilder tritt, wird man von der nun folgenden kunstfertig stilisierten Bildfolge in Beschlag genommen.

Die Zeit scheint sich zu dehnen, die Wucht der Patronen lässt den Gangster durch die Schaufensterscheibe fliegen. Das Glas splittert effektvoll, die Kunden des Supermarktes gehen in Deckung. Rund um Einschusslöcher färbt sich ein weißes Hemd rot. Mit einem mächtigen Knall landet der Körper des Kriminellen auf dem Bürgersteig. Es wird still. In diesem Moment gibt uns eine Regisseurin zu verstehen, dass sie ihr Handwerk versteht. Und dass es ihr offensichtlich mehr um die Bilder und Motive eines Genres geht als um die Definition einer neuen Heldin. Vielleicht nimmt Bigelow den Geschlechtertausch auch nur vor, um die Fetische des Polizistenfilms – die gebügelte Uniform, die coole Kappe, die hochglänzenden Waffen – erst richtig in Szene zu setzen.

So findet auf unerwarteter Ebene ein Blickwechsel statt: Nicht mehr die Frau wird als inszeniertes Objekt der Begierde ins Scheinwerferlicht gerückt, vielmehr wird ihre Waffe in allen Details und aus unterschiedlichen Blickwinkeln fokussiert. Diese Fetischisierung verleiht Bigelows Thriller einen fast schon experimentellen Charakter, der die Waffe für einen Augenblick aus allen Funktionszusammenhängen löst. Man könnte auch von L’art pour l’art sprechen.

Tatsächlich suchte Kathryn Bigelow in den siebziger Jahren nach ihrem Filmstudium an der Columbia University zunächst den Kontakt zur umtriebigen subversiven New Yorker Kunstszene. Sie arbeitete mit Richard Serra und Roy Lichtenstein zusammen und war Mitglied der Konzeptkunstgruppe Art & Language. Ihr erster Spielfilm, „Loveless“ , den sie 1982 zusammen mit Monty Montgomery inszenierte, überträgt die avantgardistischen Ideen jener Jahre auf die Leinwand und ist gleichzeitig eine Hommage an Kenneth Angers abgefahrenen, ambivalenten Experimentalfilm „Scorpio Rising“ über eine Bikergang.

So hemmungslos wie lustvoll feiert Bigelow in ihrem Regiedebüt die Zeichenwelt der fünfziger Jahre, als würde die Pop Art dem Kino einen Besuch abstatten. Mit pomadisiertem Haar sieht man Willem Dafoe in seiner ersten Filmrolle als Anführer einer Motorradbande in schönster Lederkluft. Immer wieder unterbricht der Film die Handlung, um seine gestylten Figuren – schwarz gekleidete Biker, Kellnerinnen im pinkfarbenen Dress, blondierte Schönheiten in quietschbunten Kleidern – wie Ikonen ihrer Epoche aus dem Bild hervortreten zu lassen.

Ikonisierung, Stilisierung, Überhöhung – mit durchaus affirmativen Mitteln betritt Bigelow mit ihren nächsten Filmen die männliche Domäne des Genre-Kinos, um dessen Codes, Regeln und Gesetze ins Extreme zu führen, sie aber auch in ihrer Konvention vorzuführen, und das mit manchmal eigenwilligen Effekten. „Point Break“ (1991) überzieht mit grandiosen Fallschirm- und Surfsequenzen das Motiv der Seelenverwandtschaft zwischen Jäger und Gejagtem und verfällt doch nicht der Romantisierung des Männerbündlerischen.

In ihrem mit dem Oscar ausgezeichnetem Film „The Hurt Locker“ (2008) untersucht sie die Materialität des Irakkrieges, den Kampf von Zangen gegen Zünder, von US-amerikanischem Hightech gegen selbst gebastelte Bomben. Auch die Soldaten werden zu Material, zu reinen Funktionsträgern, die einen Job zu erledigen haben, der ihnen mehr Thrill zu bieten scheint als der Alltag in der US-amerikanischen Provinz. So wird der Krieg bei Bigelow zum testosterongeladenen Feldzug für den narzissistischen Selbstbeweis. Sie ist schon eine seltsam unrevolutionäre Genre-Revolutionärin.