AMERICAN PIE : Win-win-Situation für Zombies
Morgen beginnt die neue NFL-Saison. Aber schon jetzt wird gestritten, ob in den kommenden Jahren länger gelitten werden darf
Morgen wird die neue Spielzeit feierlich eröffnet. Die größte Sportshow des Planeten, die National Football League (NFL), beginnt mit der Wiederauflage eines Klassikers. Der Titelverteidiger, die Saints aus New Orleans, empfangen die Minnesota Vikings. Beim letzten Aufeinandertreffen im vergangenen Januar ging es um nichts weniger als den Einzug ins Finale des Superbowls – und das dramatische Spiel ging in die Verlängerung.
Großes Drama scheint auch diesmal wieder garantiert. Dafür sorgt schon Brett Favre. Der Charakterdarsteller hat sich entschlossen, seinen dritten Rücktritt noch einmal zu verschieben, und eine weitere Spielzeit im Ensemble der Vikings dranzuhängen. Zu seiner 20. Saison als NFL-Quarterback musste die lebende Legende allerdings massiv überredet werden: Cheftrainer Brad Childress schickte gar eine Abordnung seiner Profis zum Bittgang in Favres Heimatstädtchen in Mississippi.
Die vor jeder Saison beständig wiederaufgeführte Geschichte, ob der bald 41-jährige Favre spielen oder doch nicht spielen wird, hat in der aktuellen Inszenierung die Gemüter aber lange nicht so erhitzt wie früher. Beschäftigt hat die Football-Fans stattdessen ein ganz anderes Stück, das um die nur auf den ersten Blick blutleer wirkende, scheinbar wenig aufregende Frage kreist: Soll die NFL-Saison um zwei zusätzliche Spiele pro Mannschaft verlängert werden?
Doch tatsächlich berührt die Diskussion dieser Frage einige der wichtigsten Motive des Theaters, ja des Lebens: Gier und Gewalt, Schmerzen und Tod.
Ist es doch so: NFL-Boss Roger Goodell hat vorgeschlagen, die Profis künftig nicht mehr nur 16 Mal in der regulären Saison in die Arena zu schicken, sondern 18 Mal antreten zu lassen, um die Playoff-Teams auszuspielen. Begeistert von diesem Plan sind die Klubbesitzer: Ihnen garantiert eine Verlängerung zusätzliche Einnahmen aus Eintritten, Fernsehgeldern und Parkplatzgebühren. Eine „Win-win-Situation in jeder Beziehung“ hatte denn auch Bob Kraft, der Besitzer der New England Patriots, erkannt.
Gar nicht begeistert sind dagegen die Spieler. Schon jetzt sei die Saison zu lang, kämen die meisten Profis nur mit Schmerzmitteln morgens aus dem Bett. Dem neuen Spielplan sollen zwar zwei von bislang vier Vorbereitungsspielen zum Opfer fallen, aber ein Spiel, in dem es um nichts geht, sei von der Intensität gar nicht zu vergleichen mit einem regulären Saisonspiel, in dem die Muskelberge ungebremst aufeinanderprallen.
Wie dramatisch die gesundheitlichen Langzeitfolgen des Sports sein können, das wurde der Öffentlichkeit erst in den vergangenen Monaten vor Augen geführt. Immer mehr ehemalige Profis mit Gehirnschäden zwangen die Liga dazu, die Schutzmaßnahmen zu verbessern.
Nun bröckelt die Macho-Kultur des Football. Auch die noch aktiven Spieler sorgen sich jetzt öffentlich um ihre Gesundheit und wollen die Verlängerung mit drastischen Worten doch noch verhindern. „Am Ende der Saison im Dezember sind wir nur noch wandelnde Zombies“, sagt Desmond Clark von den Chicago Bears. Und Saints-Quarterback Drew Brees glaubt, dass „zwei Spiele mehr nicht nur die Karriere mancher Spieler um Jahre verkürzen werden, sondern wahrscheinlich auch ihr Leben“. Für Brees, den Quarterback der New Orleans Saints, beginnt bereits morgen der Rest seines Lebens. Bis der Vorhang fällt. THOMAS WINKLER