Bildungsstudie als Grabbelkiste

GESCHMÄHTE EMPIRIE Egal, ob die neueste OECD-Studie oder der nationale Bildungsbericht: Wozu taugt die Empirie übers Lernen? Bei der Friedrich-Ebert-Stiftung streiten die Beteiligten – und finden nur einen guten Bericht: den lokalen, der Schwachstellen im Kiez aufdeckt

■ Mit der ersten Pisa-Studie im Jahr 2001 brachen die Bildungsberichte über die Deutschen herein. Seitdem gibt es alle drei Jahre ein internationales „Programme of Students Assessment“, kurz Pisa, und dazu nationale Vertiefungsstudien. Zudem veranstalten die Bundesländer die berüchtigten Vera-Studien in den dritten und achten Klassen – auch das Vergleichsstudien. Sie dienen dazu, das Schulsystem zu röntgen, und sollen nicht etwa einzelne Schüler sanktionieren. Dazu kommen inzwischen Dutzende Detailstudien, und auch die Kommunen leuchten das Geschehen in ihren Klasssenzimmern genauer aus. Allein, was macht die Politik mit dem vielen Steuerungswissen? Während eine Friedrich-Ebert-Tagung sich den Kopf über evidenzbasierte Bildungspolitik zerbrach, erschien „Education at a Glance“ – und jeder interpretierte wild vor sich hin.

VON CHRISTIAN FÜLLER

Als die OECD ihren Bericht „Education at a Glance“ vorstellte, war es wieder so weit. Die Interpretation der Studie fiel, freundlich gesagt, gemischt aus.

Die Repräsentanten der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit mahnten, dass der Exportweltmeister bei der Bildung den Anschluss zu verlieren drohe. Es gebe zu wenig Akademiker, und selbst das deutsche Bildungs-Prunkstück, die duale Berufsausbildung, weise inzwischen eine schmerzhafte Wunde auf. „Es gibt nach wie vor eine erhebliche Zahl von Jugendlichen in Deutschland, die nicht an einer beruflichen Ausbildung teilnehmen“, so die OECD.

Johanna Wanka und Annette Schavan hingegen ließen gute Botschaften verkünden: „Hochschulen im Aufwind. Studierende erfolgreich! Bildung lohnt sich!“ So lauten die deutschen Überschriften zur selben OECD-Studie von KMK-Präsidentin Wanka und Bundesbildungsministerin Schavan (CDU).

Ja, was denn nun?

Bildungsberichte sind „eine Grabbelkiste, aus der sich jeder was für seine Argumentation rauspicken kann“, stöhnt Ulla Burchardt (SPD). „Aber die Politik nimmt sie ohnehin am wenigsten zur Kenntnis.“ Der Vorsitzende des Bildungs- und Forschungsausschuss des Souveräns in Berlin tut es weh, dass ihre KollegInnen am liebsten nächtens um drei Uhr Dokumente wie den Nationalen Bildungsbericht diskutieren.

Wozu sind Bildungsberichte dann gut? Kann man mit ihnen wirklich Steuerungswissen gewinnen? So fragte die Friedrich-Ebert-Stiftung bei einer Tagung – wenige Monate nachdem der dritte Bildungsbericht in den Schubladen der Nation verschwunden ist.

Vom längst ausrangierten Bildungs-Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen bis zur immer noch aktiven Pfälzer Bildungsministerin Doris Ahnen finden es alle Beteiligten toll, dass es Bildungsberichte gibt. Allein, ihr Sinn wirft Fragen auf.

Am deutlichsten wird dies, wenn man Catenhusens Nach-Nachfolgerin, die Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen (CDU), anhört. Die gehobene Angestellte von Annette Schavan kam zu der Aussage, die empirischen Befunde seien halt mal uneindeutig. Da ging Jutta Allmendinger der Hut hoch. „Seit 20 Jahren habe ich so eindeutige empirische Ergebnisse wie heute nicht gesehen“, sagte die Präsidentin des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung Berlin.

Wer sich genauer ansieht, wie der Bildungsbericht überhaupt gezeugt wurde, der muss sich nicht wundern, wie er genutzt wird: Nämlich gar nicht oder ignorant. Bei einem Geheimtreffen am Hamburger Flughafen baldowerten Catenhusen und sein Länderkollege Wolfgang Meyer-Hesemann das Papier aus. Später bezirzte Doris Ahnen ihre Länderkollegen so lange, bis sie mit dem Bund verhandelten. Und dann setzte man den Forschern ernsthaft eine Steuerungsgruppe mit Staatssekretären vor die Nase. Was dabei herauskommt, zeigt der vierte Bildungsbericht. Im Jahr 2012 wird darin die „kulturelle und musisch-ästhetische Bildung“ Schwerpunkt sein.

„Da liegt nicht das Problem versteckt, an dem wir leiden“, spottete Allmendinger darüber, dass sich nun Bataillone von Forschern auf die Musikschulen stürzen werden. „Das haben sich garantiert nicht die beteiligten Wissenschaftler ausgesucht.“

„Seit 20 Jahren nicht mehr so klare empirische Ergebnisse“

Jutta Allmendinger, WZB

Freilich mussten alle Wissenschaftler wissen, worauf sie sich einlassen. „Ihr seid als Forscher frei – aber einen Mängelbericht wollen wir auf keinen Fall“, fasste Hans Döbert den Arbeitsauftrag der Politik zusammen. Döbert leitet das Deutsche Institut für internationale pädagogische Forschung, das die Federführung innehat.

Aber wo taugen Bildungsberichte dann? Auf der lokalen Ebene, und die wurde bei der Ebert-Tagung leider vernachlässigt. Es gibt inzwischen in vielen Städten Bildungsberichte, die auf einzelne Stadteile heruntergebrochen werden. Offenbach hat einen sehr präzisen Bericht, auch Dortmund. „Kinderarmut, Sockelarbeitslosigkeit und vererbte Bildungsarmut – das ist der Teufelskreis, aus dem die Familien nicht herauskommen“, sagte Dortmunds Exbürgermeister Gerhard Langemeyer. Mit Hilfe des Bildungsberichts wissen die Stadtoberen genau, wo sie ansetzen müssen.

Und beim nächsten Mal „werden wir auch Ross und Reiter nennen“, so Langemeyer. Sprich: Dann wird der Dortmunder Bildungsbericht sagen, wo es gute und schlechte Schulen gibt und woran es liegt. Und dann hätte wenigstens dieser Bericht einen Nutzen.

Die OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ indes war gestern zu Redaktionsschluss bereits wieder heiß umstritten.