STEFAN REINECKE ÜBER DIE FOLGEN DES URTEILS ZUR EUROPAWAHL : Das Schweigen der FDP
Alle Parteien haben das Aus für die Dreiprozenthürde bei der Europawahl kommentiert. Die großen sind besorgt, weil ihnen eine Schutzhülle abhandenkommt, die kleinen triumphieren. Nur die FDP schweigt. Sie ist nicht sprechfähig, weil sie weder das eine noch das andere ist: keine etablierte Partei mehr, noch keine Randpartei.
Die Liberalen haben diese Republik 45 Jahre lang regiert. Sie überlebten, weil sie als Funktionspartei unentbehrlich waren. Diese Rolle scheint nun ausgespielt: Die Grünen stehen – siehe Hessen – bereit. Und ohne Sperrklausel ist die Mechanik der Funktionspartei außer Betrieb gesetzt. Es wird bei der Europawahl keine besorgten Unionswähler geben, die der FDP über die Dreiprozenthürde helfen. Die FDP wird ein ehrliches Ergebnis bekommen. Das wird schmerzhaft.
Die Liberalen waren Mehrheitsbeschaffer. Jetzt, fern der Macht, müssen sie Werte glaubhaft machen, die bis vor Kurzem nur für Sonntagsreden taugten. Auch deshalb wirkt Christian Lindners Versuch, einen Neoliberalismus mit menschlichem Antlitz zum Leben zu erwecken, so bemüht. Die Grünen haben im Wahlkampf beim Veggie-Day zu spüren bekommen, wie anfällig Moral machen kann. Aber das ist nichts zu dem, was die FDP vor sich hat: eine Macht- als Wertepartei zu inszenieren.
Bei der Europawahl steht die FDP zudem vor einem unlösbaren Problem. Die Parteispitze lässt keinen Zweifel am Pro-Euro-Kurs – doch bei den Stammwählern gibt es viele Euroskeptiker. Manche Besitzbürger haben keine Lust, für Faulenzer im Süden zu zahlen – und die FDP daher kein Mittel gegen die AfD. So wächst rechts die AfD, auch wenn deren Zukunft ungewiss ist. Links werben die Grünen um die Bürgerrechtsliberalen. Die Ränder fransen aus, der Kern ist diffus. So wird die FDP den Kampf um das Erbe des Liberalismus nicht überstehen.