: Mehr Geld für schwache Kassen
FINANZAUSGLEICH Das Bundesversicherungsamt gibt seinen Widerstand gegen eine Umverteilung zwischen Krankenkassen auf. Nun drohen weitere Fusionen
Ein Kassen-Insider
VON HEIKE HAARHOFF
BERLIN taz | Krankenkassen mit vielen alten und kranken Versicherten dürfen rückwirkend für 2013 und auch künftig mit rund einer halben Milliarde Euro jährlich mehr aus dem Gesundheitsfonds rechnen: Nach jahrelangem Rechtsstreit hat das Bundesversicherungsamt (BVA), Aufsichtsbehörde der gesetzlichen Kassen, seinen Widerstand gegen eine entsprechende Korrektur der Umverteilung der Gelder aus dem Gesundheitsfonds zwischen den Kassen aufgegeben.
Das BVA habe die „eingelegten Revisionen“ gegen diverse Gerichtsurteile „zurückgenommen“, teilte das BVA vorigen Freitag per Rundschreiben an die Kassen, deren GKV-Spitzenverband sowie das Bundesgesundheitsministerium mit. Damit seien die Urteile „rechtskräftig“, heißt es in dem Schreiben, das der taz vorliegt. Und: „Im Wege einer Gesamtkorrektur“ würden die Zuweisungen für die Kassen neu berechnet und „im Rahmen des Jahresausgleichs 2013“ im November umgesetzt.
Konkret heißt das: AOK, DAK und kleinere Kassen mit Mitgliedern, die aufgrund ihrer Altersstruktur und ihrer Krankheiten hohe Kosten verursachen, etwa die Knappschaft-Bahn-See, erhalten rückwirkend sehr viel mehr Geld. Eine Sprecherin des GKV-Spitzenverbands sagte, es gehe um „jährlich 400 bis 500 Millionen Euro“. Dieses Geld allerdings wird anderen Kassen fehlen, die bislang von dem von den Sozialgerichten als ungerecht eingestuften Verteilungsmodus profitierten. Es könnte nun, gerade bei kleineren Betriebskrankenkassen, zum Kollaps kommen. Denn viele Kassen haben das Geld, das sie nun zurückzahlen müssen oder nicht mehr zugewiesen bekommen, längst ausgegeben oder verplant. „Wir rechnen damit, dass aufgrund der Korrektur von den derzeit rund 130 Kassen am Jahresende nur noch 100 übrig sein werden“, sagte ein Branchenkenner der taz. „Die Neuberechnung wird zu weiteren Kassenfusionen führen.“ Das Gesundheitsministerium wollte sich an derlei „Spekulationen nicht beteiligen“.
Der Streit um den Verteilungsmodus nach dem „morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich“ hatte sich bereits 2011 an der Frage entzündet, wie die Kassen mit den Kosten für Versicherte umgehen dürfen, die mitten im Beitragsjahr sterben. Diese Kosten am Lebensende sind meistens nicht nur extrem hoch – bislang durften sie nicht auf das gesamte Versichertenjahr hochgerechnet werden. Für alle anderen Versicherten dagegen dürfen die Kassen Ausgaben, die im ersten Halbjahr anfallen, in gleicher Höhe auch für das zweite Halbjahr ansetzen – und zwar auch dann, wenn im zweiten Halbjahr gar keine weiteren Kosten entstanden sind.
Diese Ungerechtigkeit hatte das BVA nie bestritten. Auf Anweisung des damaligen Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) war eine entsprechende Reform jedoch 2012 nicht umgesetzt worden. Bahr, so war damals spekuliert worden, habe vor allem die finanzstarke Techniker Krankenkasse vor der drohenden Umverteilung schützen wollen. Im Gegenzug, so die Gerüchte, habe die TK sich dann bei Bahr revanchiert, indem sie Bahrs Forderung nach Prämienrückzahlungen an die Mitglieder nachkam und den FDP-Mann so als durchsetzungsstarken Minister dastehen ließ. Daraufhin zogen die AOK-Nordost und die Deutsche BKK vor Gericht.
Zu den Gründen für sein Einlenken wollte sich das BVA nicht äußern. Als wahrscheinlich gilt in Kassenkreisen, dass die Koalition den Streit beenden wollte. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Die im Gutachten des wissenschaftlichen Beirats des Bundesversicherungsamtes gemachten Vorschläge zur … Annualisierung der Kosten für verstorbene Versicherte … wollen wir … umsetzen.“