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Archiv-Artikel

Die Miniatur der Hauptstadt

taz-Serie „Bezirkssache“ (Teil 6): Kaum ein Bezirk spiegelt Chancen und Probleme Berlins wie Pankow. In Buch forschen Biotechunternehmen auf Weltniveau, in Heinersdorf kämpfen Kleinstädter gegen den Bau einer Moschee, und in Prenzlauer Berg gründen junge Kreative Kleinunternehmen

VON MATTHIAS LOHRE

Wenn der Prenzlauer Berg tatsächlich ein Berg wäre, dann könnten Anwohner von seiner Spitze aus eine für sie fremde Welt erblicken. Im Norden sähen sie bei gutem Wetter strahlende neue Mehrfamilienhaussiedlungen in Karow-Nord. Daneben, in Buch, würden sie in den märkischen Sand gestemmte alte Plattenbausiedlungen entdecken. Wie ungewohnt wäre dieser Anblick für die meisten Altbaubewohner zwischen Tor- und Wisbyerstraße, die seit den 90er-Jahren hierher gezogen sind! Doch der Prenzlauer Berg ist nun mal kein Berg, sondern nur ein mattes Hügelchen. Und deshalb wissen nur wenige Bewohner Pankows, was im einwohnerstärksten Berliner Bezirk alles geschieht. Auch deshalb ist Pankow ein Abbild Berlins.

Welten prallen hier aufeinander, oder besser: Sie leben nebeneinander her. Ost und West, Arme und Wohlhabende, Zukunftsfrohe und Ängstliche. Nicht erst seit im Jahr 2001 eine Verwaltungsreform die drei Ostbezirke Pankow, Weißensee und Prenzlauer Berg zum 350.000-Einwohner-Bezirk Pankow zusammenfasste.

Der Prenzlauer Berg hat seither seinen Ruf als Hort junger, flexibler Akademiker und ihrer Kinder gefestigt. Noch immer ziehen vor allem Westdeutsche dorthin und tragen dazu bei, dass Pankows Einwohnerzahl weiter wächst. Hier geht es wirtschaftlich aufwärts: Jobs in Kneipen, Cafés und Galerien gehören dazu, aber auch die berühmt gewordenen Ich-AGs junger Kreativer: Grafiker, Medienmenschen, Künstler. An sie denken viele Berlinbesucher, wenn vom Nordosten der Hauptstadt die Rede ist.

Aber Pankow, das sind auch die einhunderttausend Bewohner des kleinbürgerlich-verschlafenen Weißensees mit seinen Baumärkten und Autohändlern. Und einst war „Pankow“ ein Synonym für die SED-Regierung, deren Köpfe es sich in Villen am idyllisch gelegenen Majakowski-Ring in Niederschönhausen gemütlich machten. Weit im Norden liegt auch ein Vorzeigeprojekt des klammen Stadtstaats, der so genannte Biomedizinische Forschungscampus Berlin-Buch mit seinen Einrichtungen der Grundlagenforschung, Kliniken und fast 50 Biotechnologiefirmen. Und da sind nicht zuletzt die vielen Einwohner des Altbezirks Pankow, deren Wählerstimmen bis heute dafür sorgen, dass die Linkspartei im Bezirk das Sagen hat.

Wie im Land, so regieren auch im roten Klinkerbau des alten Pankower Rathauses Linkspartei und SPD miteinander. Hier wie dort drückt der Gedanke an die Schuldenlast Berlins aufs Gemüt und zwingt die Parteien zu unorthodoxen Entscheidungen. Mehr als 27 Millionen Euro Schulden hatte der Bezirk Ende vergangenen Jahres beim Land – die zweithöchsten aller zwölf Bezirke. Ein wenig tröstet da immerhin die Gewissheit, mit einer Arbeitslosenquote von 14,5 Prozent unter dem Landesdurchschnitt zu liegen.

Bezirksbürgermeister Burkhart Kleinert von der Linkspartei sind die Sorgen nicht anzumerken. Mit dem schwarzweißen Bart, der runden Brille und dem immer zu einem ironischen Lächeln bereiten Mund spiegelt er wider, was Kommunalpolitik erfordert: Gleichmut und reichlich Pragmatismus. Seit Januar 2002 ist der 58-Jährige im Amt. Meist stimmen seine 21 Linksparteiler in der Bezirksverordnetenversammlung gemeinsam mit den 17 SPD-Verordneten. „Das liegt an inhaltlichen Überschneidungen, aber auch an persönlicher Sympathie.“ Wenn es sein muss, hat er aber auch schon mit den sieben CDU-Verordneten koaliert. Beispielsweise, als die Grünen einen Fahrradweg durch den Mauerpark anlegen wollten. Da paktierten Linkspartei und Union gegen die befürchtete „Schnellstraße“.

Linkspartei und Grüne: Im Bezirk bekriegen sich die Parteien von Herzen. Obwohl beide Seiten einander bescheinigen, gute Ideen zu haben, lassen sie im Wahlkampf kaum ein gutes Haar am anderen. Die Grünen geben sich selbstbewusst. Mit Jens-Holger Kirchner bieten sie erstmals einen eigenen Bürgermeisterkandidaten auf. Der 46-Jährige hofft auf Wahlstimmen der vor allem nach Prenzlauer Berg gezogenen Rot-Grün-Wähler. Das gute Abschneiden seiner Partei bei der Bundestagswahl 2005, hofft der Buchhändler, könnte anzeigen, dass die Linkspartei-Mehrheit in Pankow bröckelt. Doch den Affront eines eigenen Bürgermeisterkandidaten leisten sich die Grünen ausdrücklich nur, um den Amtsinhaber zu ärgern. „Kleinert ist kein guter Vertreter Pankows“, kritisiert Kirchner. „Über ihre Bezirksgrenzen sind Heinz Buschkowsky aus Neukölln oder Marlies Wanjura aus Reinickendorf als Interessenvertreter ihres Bezirks bekannt. Aber Kleinert?“ Tatsächlich deutet der rapide Bevölkerungswandel im Bezirk auf ein baldiges Ende der Linkspartei-Hegemonie hin: Die alten PDS-Wähler sterben aus.

Einig sind sich fast alle Parteien in einer Sache, die einen kleinen Ortsteil über die Stadtgrenzen hinaus bekannt gemacht hat. In Heinersdorf hat die muslimische Ahmadiyya-Gemeinde ein Grundstück gekauft, um darauf eine Moschee mit einem zwölf Meter hohen Minarett zu bauen – es wäre die erste Moschee im Osten der Stadt. In zwei Jahren will die Gemeinde, die der Verfassungsschutz als friedlich einschätzt, in den zweigeschossigen Bau in der Tiniusstraße 5 einziehen.

Seit März dieses Jahres fand eine seltsame Front von Gegnern des Projekts zusammen: Die NPD plakatierte die Straßen des 6.000 Einwohner kleinen Ortsteils zu, eine Bürgerinitiative sammelte Stimmen gegen den Bau. Mittendrin steht der Pankower CDU-Vorsitzende Ralf Stadtkewitz, der sich gegen Widerstand im eigenen Kreisverband in die erste Reihe der Baugegner geschoben hat. Als vor zwei Wochen Unbekannte einen Brandsatz in sein Haus warfen, brachte Stadtkewitz dies mit seinem Anti-Moschee-Engagement in Verbindung.

Unter den Bezirksparteien ist die CDU mit ihrer Haltung isoliert. Am vergangenen Montag ließ die Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung erneut Unions-Versuche ins Leere laufen, die Baugenehmigung in letzter Minute zu stoppen.

Auch hierin spiegelt Pankow die Stimmung in Berlin: die Sorge vor „Überfremdung“ vor allem im Osten der Stadt und das Irrlichtern einer orientierungslosen CDU. Vor allem aber offenbart Pankow, wie eng Provinz- und Hauptstadtgefühl in Berlin beieinander liegen. Daran könnte selbst ein Panoramablick vom Prenzlauer Berg nichts ändern.