Verfassungsschutz malt schwarz

Nach dem Verfassungsschutzskandal um die Bespitzelung des Sozialforums haben Linkspartei und Grüne Akteneinsicht beantragt. Das Ergebnis ist mäßig: Umfangreiche Passagen sind geschwärzt

VON FELIX LEE

Handlungen wie Deckeln und Vertuschen galten bei der Landesabteilung für Verfassungsschutz in den vergangenen fünf Jahren eigentlich als überwunden. Doch die Sitzung des Verfassungsschutzausschusses gestern im Abgeordnetenhaus vermittelte einen ganz anderen Eindruck. Zunächst weigerte sich Innensenator Ehrhart Körting (SPD), die genaue Zahl der Betroffenen anzugeben, die nach dem jüngsten Skandal um die Bespitzelung des Berliner Sozialforums Akteneinsicht beantragt hatten. Schließlich würde damit das Bestreben gefördert werden, dass noch mehr Personen ihre Akten einsehen wollen, so Körting. Und dies sei nicht erwünscht. Als sich der Innenexperte der Grünen-Fraktion, Volker Ratzmann, darüber ereiferte, dass die ihm zur Einsicht überreichten Unterlagen überhaupt keine neuen Erkenntnisse gebracht hätten, weil ein Großteil der Unterlagen geschwärzt waren, antwortete Körting frech: Er solle sich doch freuen. Denn vielleicht stünde ja auch einfach nichts drin.

Der Verfassungsschutzskandal um die Bespitzelung des Berliner Sozialforums geht also weiter. Mitte Juni war herausgekommen, dass das 2003 gegründete Bündnis linker Gruppen, die Proteste gegen die Kürzungen des rot-roten Senats organisiert haben, über Jahre hinweg systematisch vom Verfassungsschutz beobachtet worden waren. Betroffen waren auch der FU-Professor und Mitbegründer des Forums, Peter Grottian.

Körting hatte ebenso wie die Leiterin der Abteilung, Claudia Schmid, zunächst alles bestritten. Später räumte der SPD-Senator aber ein, dass es ihm um bestimmte autonome Gruppen ging, die im Sozialforum aktiv sind. Dabei seien Materialien „über einen längeren Zeitraum“ zu undifferenziert gesammelt und archiviert worden. Als Konsequenz hatten Ratzmann und Steffen Zillich, der innenpolitische Sprecher der PDS-Fraktion, erweiterte Akteneinsicht auch zu den Zusammenhängen der Initiative Bankenskandal, des Personenbündnisses für eine Repolitisierung des 1. Mai, des Sozialen Ratschlags und Attacs beantragt. Anfang dieser Woche bekamen sie die Akten zu sehen.

„Ich fühle mich veräppelt“, sagte Ratzmann gestern. Umfangreiche Materialien seien ihm nicht ausgehändigt worden. Vieles andere sei wegen der Schwärzungen belanglos. Dieser Umgang zeuge von der Missachtung des Kontrollrechtes des Verfassungsschutzausschusses durch den Innensenator. Ratzmann kündigte an, dass er die Forderung nach Akteneinsicht „notfalls“ auf dem Klageweg durchsetzen werde.

Empörung auch auf Betroffenenseite: Peter Grottian sprach von „Wortbruch“. Noch auf der vorigen Ausschusssitzung habe Körting eine lückenlose Aufklärung angekündigt und zugesagt, dass jeder Betroffene seine Akten so zügig wie möglich einsehen könne. Bei der Sitzung gestern gab Körting zu, dass daraus vor den Wahlen am 17. September nichts mehr werde. „Jetzt ist ihm die Sache offenbar zu heiß geworden“, vermutet Grottian. Denn inzwischen hätten sich rund 90 Personen gemeldet, die befürchten, dass sie beobachtet wurden: Darunter sind die stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende und ehemalige Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach, der Ver.di-Bezirksgeschäftsführer Roland Tremper, zahlreiche Mitglieder von Attac, der WASG, der Gewerkschaften und des Frauennetzwerks. Grottian ist sich sicher, dass darüber sehr wohl „unangenehme Praxen“ des Verfassungsschutzes ans Tageslicht kommen würden. Der Innensenator tat den Skandal gestern als „Wahlkampfgeplänkel“ ab.