Jenseits von Europa

Bislang dominieren aus Afrika Bilder von Armut und Krieg. Aber es gibt Grund zur Hoffnung: Im Schatten der Konflikte entwickeln sich Wirtschaft und Zivilgesellschaft

Gelder werden gezielter eingesetzt, und gegen Korruption wird entschlossener vorgegangen

Afrika scheint in der Dauerkrise. Gründe für diese Sichtweise gibt es genug, so auch im Kongo. Hier sind mehr als 3 Millionen Menschen in den vergangenen Jahren im Krieg gestorben, und die Lage ist noch lange nicht stabil, obwohl Soldaten von UN und EU gegenwärtig den Wahlprozess absichern. Pessimistisch stimmt auch die Situation im Sudan, wo Hunderttausende von Menschen vor der brutalen Gewalt bewaffneter Milizen aus ihrer Heimat fliehen mussten und die internationale Gemeinschaft sich bislang noch nicht zu einem Militäreinsatz durchringen kann.

Jenseits dieser Kriege und Konflikte gibt es aber Anlass zur Hoffnung für Afrika. Denn jenseits der zahlreichen Konflikte, die unser Bild Afrikas bestimmen, hat sich die Wirtschaft in vielen Ländern Afrikas in den vergangenen Jahren in einem seit langem nicht mehr gekannten Tempo positiv entwickelt. Damit sind die Voraussetzungen besser geworden, um Armut und Perspektivlosigkeit zu überwinden, die das Leben der meisten Afrikaner bestimmen und einige von ihnen zur gefährlichen Flucht nach Europa bewegen. Diese vielleicht grundlegende Veränderung zum Positiven in Afrika müssen wir stärker als bisher zur Kenntnis nehmen.

Von 2000 bis 2004 erreichte das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in immerhin 12 Ländern südlich der Sahara durchschnittlich mehr als 5 Prozent pro Jahr. In 16 Ländern betrug es immerhin zwischen 3 und 5 Prozent. Nur noch in 5 Ländern schrumpfte die Wirtschaftsleistung.

Zu diesen Ländern zählt Simbabwe, das nach seiner späten Unabhängigkeit lange Zeit ein Hoffnungsträger war, da es über eine nicht unbedeutende Industrie und eine erfolgreiche Exportwirtschaft verfügte. Simbabwes Staatschef Robert Mugabe hat aber das Land in den letzten Jahren weitgehend ruiniert.

Insgesamt ist die Lage heute in Afrika gegenüber Anfang der 1990er-Jahre deutlich positiver. Die Wirtschaft wächst erstmals wieder so kräftig wie kurz nach der Unabhängigkeit, als viele afrikanische Länder einen sehr großen Sprung nach vorne machten. In den 1960er- und 1970er-Jahren waren Wachstumsraten von mehr als 5 Prozent in Afrika üblich.

Vielen afrikanischen Ländern gelang es in den vergangenen Jahren darüber hinaus auch, ihre Schuldenlast zu verringern. Dieser Umstand lässt aufhorchen, deutet dies doch darauf hin, dass die Regierungen die staatlichen Mehreinnahmen heute konsequent für eine strukturelle Verbesserung der ökonomischen Lage nutzen und nicht mehr in Prestigeprojekten versanden lassen.

Hierbei werden viele afrikanische Regierungen durch den internationalen Schuldenerlass und eine Geberpolitik unterstützt, die aus eigenen Fehlern langsam gelernt hat. Wichtig ist auch, dass das kräftigere Wachstum nicht allein einem Wirtschaftssektor zuzuschreiben ist, sondern dass Landwirtschaft, Industrie, Dienstleistungen und die Rohstoffwirtschaft in Afrika wachsen und so das Wachstum auf einem breiten Fundamt steht.

Ein Blick auf die beiden größten Volkswirtschaften des Kontinents, Nigeria und Südafrika, lässt die ermutigende Entwicklung der vergangenen Jahre deutlicher werden:

Nigeria wies im vergangenen Jahr 2005 ein Wirtschaftswachstum von 6,2 Prozent auf, 2004 sogar 6,5 Prozent. Dieses Jahr sind 7 Prozent denkbar, und die Inflation bleibt dabei unter 10 Prozent. Langsam erreicht man damit das Niveau Indiens. Das Wachstum wurde nach Angaben der nigerianischen Zentralbank vor allem von der Landwirtschaft, dem Handel und den Dienstleistungen angetrieben und nicht, wie man meinen könnte, von der Ölwirtschaft.

Die stark gestiegenen Staatseinnahmen verdankt das Land dem hohen Ölpreis, aber auch die anderen Einnahmen sind aufgrund des starken Wachstums angewachsen (38,8 Prozent in 2005). Die Einnahmen nutzt die Regierung, unterstützt durch einen umfassenden internationalen Schuldenerlass, auch zu einem umfassenden Abbau der Schulden. Ende 2005 betrug der Anteil der Schulden nur noch 28,3 Prozent am BIP. 2004 waren es noch 53,6 Prozent. Und dieses Jahr will Nigeria schuldenfrei sein.

Südafrika ist in den vergangenen Jahren zu einem Wachstumspol Afrikas herangewachsen. 2005 betrug das Wachstum beeindruckende 5 Prozent, und auch dieses Jahr stehen die Zeichen gut. Und selbst die Inflation mit circa 4 Prozent ist sehr moderat. Dabei wird das Wachstum in Südafrika nicht nur durch die hohe Nachfrage nach Rohstoffen angetrieben, sondern auch durch einen Aufschwung in der Industrie und den Dienstleistungen.

Das Land hat in den Jahren seit Ende der Apartheid einen Platz in der Weltwirtschaft gefunden. Johannesburg, das Wirtschaftszentrum Südafrikas, gilt gar als Global City, die wichtige Funktionen in der Weltwirtschaft innehat. Einiges spricht dafür, dass diese positive wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig sein könnte. So ist erstens die Auslandsverschuldung des Landes gemessen am BIP in den vergangenen Jahren auf nur mehr 19,3 Prozent zurückgegangen, und zweitens hat sich die Exportstruktur des Landes grundlegend verändert. Dominierten früher die Rohstoffe, deren Preise stark schwanken, sind heute weit mehr als die Hälfte der Exportgüter industriell gefertigte Waren wie Autos.

Die Wirtschaft wächst erstmals wieder so kräftig wie kurz nach der Unabhängigkeit in den 60er-Jahren

Diese positiven Entwicklungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Alltag der Menschen in Nigeria, aber auch in Südafrika für die weit überwiegende Mehrheit noch auf absehbare Zeit schwierig bleibt – geprägt von Armut, Arbeitslosigkeit und Gewalt. Doch mit dem Wachstum steigen die Chancen, dass interne Anstrengungen und externe Hilfen nun Früchte tragen können. In Südafrika, aber auch anderswo in Afrika kann man im Stadtbild bereits das Resultat dieser positiven Entwicklung der vergangenen Jahre sehen, nämlich eine sich langsam bildende Mittelklasse.

Noch ist es sicherlich zu früh, in Optimismus zu verfallen, denn Wachstum ist noch lange kein Garant für eine erfolgreiche Bekämpfung der Armut. Der Anteil der Menschen an der Gesamtbevölkerung, die von weniger als 2 US-Dollar am Tag leben müssen, ist südlich der Sahara in den vergangenen Jahren kaum zurückgegangen. Hoffnung macht aber die sich bessernde Regierungsführung. Gelder werden gezielter eingesetzt, und gegen Korruption wird entschlossener vorgegangen. Gerade Nigeria, dessen gewaltiges Ausmaß an Korruption bekannt ist, konnte in den vergangenen Jahren einige Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung erzielen.

Der gewachsene Druck afrikanischer Zivilgesellschaften und ausländischer Geber zeigt offenbar Wirkung. Afrika bewegt sich. Damit das Wachstum aber wirklich bei den Armen ankommt, muss die Armutsbekämpfung im Rahmen der UN-Millenniums-Entwicklungsziele noch stärker als bislang die Richtschnur bilden.

ARMIN OSMANOVIC