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Archiv-Artikel

Der lange Schatten der Securitate

17 Jahre nach der Wende scheint sich Rumänien seiner kommunistischen Vergangenheit zu stellen. Prominente outen sich als Spitzel, das Parlament diskutiert eine schärfere Überprüfung von Politikern. Bisher geheime Akten sollen veröffentlicht werden

VON KENO VERSECK

„Auch du, Mona?“ Es war eine ängstliche Frange, die ein Bukarester Boulevardblatt kürzlich in Großbuchstaben auf seiner Titelseite stellte. Doch die hoch angesehene liberale Politikerin Mona Musca stritt alles ab. Einen Tag später kam die Gewissheit: Musca, in Rumänien bisher eine Ikone moralischer Integrität, hat als IM für die Securitate gespitzelt.

Ende der siebziger Jahre, während sie an der Universität im westrumänischen Temeswar als Philologin arbeitete, unterschrieb sie eine Verpflichtungserklärung für Ceaușescus berüchtigten Geheimdienst und berichtete diesem dann mündlich und schriftlich über ausländische Studenten. Das belegen Akten, die vorletzte Woche in der rumänischen Stasi-Behörde CNSAS gesichtet wurden.

Mona Muscas Rechtfertigung, warum sie zunächst abgestritten hatte, jemals mit der Securitate zusammengearbeitet zu haben, klang jämmerlich. „Ich dachte, es wäre eine banale Sache gewesen“, so Musca, die sich jahrelang für die Aufarbeitung der Securitate-Vergangenheit eingesetzt hatte. „Es war eine Verpflichtung, die ausschließlich die nationale Sicherheit betraf, die Sicherheit der ausländischen Studenten und des rumänischen Staates. Wer hätte das nicht unterschrieben? Aber eine Verpflichtung, Informationen über Nachbarn und Freunde weiterzugeben, wäre ich nicht eingegangen.“

Der Fall Musca ist nur der prominenteste von vielen, die die rumänische Öffentlichkeit in Aufruhr versetzen. Doch die rumänische Stasi-Behörde überprüft nicht nur Politiker. Auch Journalisten- und Unternehmensverbände wollen ihre Zunft auf eine Securitate-Vergangenheit durchleuchten lassen, Studenten fordern dasselbe für Rektoren und Professoren. Die Bukarester Tageszeitung Adevarul konstatierte ein „plötzliches Säuberungsfieber“ in Rumänien.

Tatsächlich hat sich bisher kaum ein anderes osteuropäisches Land so schwer getan, seine Stasivergangenheit aufzuarbeiten. Nach dem Sturz Ceaușescus im Dezember 1989 wurde die Securitate offiziell für aufgelöst erklärt und im Hintergrund in zweitweise bis zu einem Dutzend Nachfolgegeheimdiensten reorganisiert. Bei diesen lagerten auch die Securitate-Archive. Erst Ende 1999 wurde nach deutschem Vorbild eine Aktenöffnungsbehörde gegründet. Doch die Archive blieben in der Hand der Securitate-Nachfolgegeheimdienste. Mit dem Argument der „Relevanz für die nationale Sicherheit“, festgeschrieben in einem Gummiparagrafen, durften sie die Herausgabe der Akten beliebig blockieren.

Erst der seit Ende 2004 amtierende Staatspräsident Traian Băsescu sprach im vergangenen Jahr ein Machtwort und drängte die Geheimdienste, ihre Archive an die rumänische Stasi-Behörde zu überstellen. Mit Erfolg: Seit Juni ist die CNSAS im Besitz fast aller Securitate-Akten, darunter auch eines Teils der bisher als hoch geheim und sicherheitsrelevant eingestuften Akten wie die der Politikerin Mona Musca.

Doch Băsescu ging noch weiter: Zu Jahresanfang wurde auf seine Initiative eine Historikerkommission zur Erforschung der kommunistischen Verbrechen in Rumänien gegründet. Derzeit debattiert das Parlament über eine strengere Überprüfung von Politikern, hohen Beamten und öffentlichen Personen auf eine mögliche Securitate-Vergangenheit sowie über Kompetenzerweiterungen für die rumänische Stasi-Behörde. In der vergangenen Woche verfügte Băsescu per Dekret, dass sämtliche bisher als geheim eingestufte Securitate-Akten über Politiker an die Stasi-Behörde übergeben und veröffentlicht werden.

Im Hintergrund dieser Initiativen geht es auch darum, wer in Rumänien das Sagen hat. Der Staatspräsident will die Geheimdienste, die jahrelang wie ein Staat im Staat agiert und mit der häppchenweisen Veröffentlichung bestimmter Securitate-Akten Machtspielchen getrieben haben, unter seine Kontrolle bringen. Und: Er möchte einflussreiche informelle Netzwerke ehemaliger Securitate-Mitarbeiter, die in Politik und Wirtschaft aktiv sind, entmachten.

Der von oben in Gang gesetzte Aufklärungsprozess hat inzwischen eine unerwartete Eigendynamik entfaltet. Die rumänische Stasi-Behörde kann sich vor Überprüfungsanfragen kaum retten. Unter dem Druck bevorstehender Veröffentlichungen traten in den letzten Wochen mehrere Politiker und Journalisten an die Öffentlichkeit und bekannten sich zur ihrer früheren Securitate-Mitarbeit. Zumeist jedoch nur mit plumpen Rechtfertigungen und Ausflüchten.

Dennoch ist der Historiker Stejarel Olaru, der die Regierung in Fragen der nationalen Sicherheit und der Vergangenheitsaufarbeitung berät, vorsichtig optimistisch. „In den vergangenen Jahren waren wir mit unseren Forderungen wie der nach Aktenöffnung wie Rufer in der Wüste“, sagt Olaru. „Jetzt scheinen sich die Dinge erstmals wirklich zu ändern. Wobei ich betone: Sie scheinen sich zu ändern.“