: Wort mit Aussicht
WACHSTUMSBRANCHE Das Fernsehstudio am Brandenburger Tor wechselt den Betreiber. Der glaubt nicht mehr an Journalismus – und will dort ab Mai für viel Geld PR-Nachwuchs ausbilden. Dabei unterstützen ihn TV-Veteranen wie Ruprecht Eser
NEUBESITZER THOMAS DITTRICH
AUS BERLIN JENS TWIEHAUS
Fernsehstudios sind eine Enttäuschung für Besucher. Auf dem Bildschirm sehen sie glänzend aus, gepflegte Menschen sitzen an großen Tischen vor polierten Kulissen. In der Realität tritt man durch die Eingangstür und stolpert in ein beengtes Durcheinander aus Kabeln und Kameras. Es müffelt nach Kantine. Die sogenannte Maske ist ein Kabuff in Kleiderschrankgröße. Aber das ist Nebensache am Pariser Platz 4a in Berlin. In diesem Studio mit dem berühmten Blick auf das Brandenburger Tor geht es um Repräsentanz, um das Postkartenmotiv im Hintergrund.
Aus diesem Grund hat Thomas Dittrich 280 Kilometer entfernt in Hamburg sehr viel Geld in die Hand genommen und das Studio im Januar vom bisherigen Betreiber Spiegel TV übernommen. Er mag nicht sagen, was es ihn gekostet hat, so haben es die Geschäftsleute abgesprochen.
Dittrich hat sich mit dem Geld nicht nur ein voll ausgestattetes Studio mit zwei Schnittplätzen und einer Tonkabine gesichert, sondern auch ein Stück journalistische TV-Geschichte. Seit Ende der Neunziger machen sie hier Fernsehen – anspruchsvolle politische Formate und schließlich wieder eingestellte Experimente wie die interaktive Sendung Giga. Diese Geschichte erfährt durch den Eigentümerwechsel eine Wendung.
Der neue Besitzer Dittrich setzt nicht mehr auf Journalismus. In seinem früheren Leben war er mal Mitglied der Intendanz im NDR, heute bildet er junge Menschen aus. Ihm gehört die Europäische Medien- und Business-Akademie (Emba). Und die setzt auf „Wachstumsbranchen“ wie die Kommunikationswirtschaft, also Public Relations (PR). Journalismus ist keine Wachstumsbranche, und Dittrich klingt sehr abgeklärt, als er diese Sicht der Dinge erläutert. Ihm ist nicht bewusst, dass die Umwidmung seines neuen Studios jetzt auch ein Stück vom Branchenblues ist, der den Journalismus seit Jahren im Griff hat.
„Wir wollen junge Menschen so ausbilden, dass sie mit ihrem Studium auch eine nachhaltige und wirtschaftlich solide Lebensplanung aufbauen können“, sagt Dittrich. Es bedeutet übersetzt: Unsere Studierenden sollen mit dem Abschluss in der Tasche möglichst schnell eine Karriere starten. Von den klassischen Medien, dem Journalismus, rät er ab: In den Redaktionen würden nun einmal seit Jahren Arbeitsplätze massiv abgebaut, sagt er. Er klingt hoffnungslos, nicht kampfbereit.
Ab Mai werden am Pariser Platz 4a Studierende ein und aus gehen, strebsame Menschen, die unbedingt was mit Medien machen wollen. Sie werden lernen, wie man vor der Kamera Ruhe bewahrt und sich sympathisch inszeniert. Und das vor einem der am meisten fotografierten Bauwerke des Landes. „Mit dem Studio haben unsere Studenten ein ganz besonderes Sahnebonbon“, sagt Dittrich – ein Satz wie aus dem Werbeprospekt.
24.900 Euro Studiengebühr
Die Emba macht kräftig Reklame, sie lockt die Besserverdienenden. 24.900 Euro Studiengebühr kostet der Bachelor. Dafür verspricht die Akademie, ihre frisch aus der Schule kommenden Schützlinge in drei Jahren durchs Curriculum zu schleusen.
Für seine Medienakademie hat sich Dittrich Dozentinnen und Dozenten ins Boot geholt, die seine negative Sicht auf die Zukunft des Journalismus nicht unbedingt teilen, aber für ein gutes Taschengeld dennoch an der Aufrüstung der PR-Industrie mitwirken. Diese Behauptung ist richtig und ungerecht zugleich. Ruprecht Eser ist einer der Dozenten, und er meint es nicht schlecht. Der frühere Chefreporter und Londonkorrespondent des ZDF ist heute ein freundlicher Mann von 71 Jahren mit einem gesunden kritischen Blick auf die junge „Generation Power Point“, wie er sie nennt.
Eser tut aber auch ein bisschen so, als gehe ihn das alles gar nichts an, was Dittrich und seine Emba da treiben: „Ich bin und bleibe Journalist. Von PR habe ich keine Ahnung“, sagt er. Auch der Reporterveteran beklagt, unter welchem Druck immer weniger Journalisten immer größere Neuigkeitenberge bewältigen müssen und sich dabei hoch professionellen Abteilungen gegenübersehen, die Corporate Communications heißen oder Executive Public Relations.
Er wolle den jungen Studierenden ein realistisches Bild von der gegenwärtigen Situation vermitteln, aber sie nicht entmutigen, sagt Eser. „Ich stelle fest, wie attraktiv der journalistische Beruf immer noch ist.“ Jeden Tag Neues lernen dürfen, viele Menschen treffen – das habe doch was, oder? Es sind solche Sätze, die immer wieder gesagt werden, wenn Journalisten zusammenkommen und sich aus irgendeinem Grund gegenseitig Mut zusprechen müssen. „Wir haben den tollsten Job der Welt.“ Aber warum eigentlich? Das weiß dann keiner mehr so genau.
Auch Eser kann diese Frage nicht beantworten. Genauso wenig erklärt er, warum gerade er sein Wissen zur Verfügung stellt, um eine neue Generation von PR-Profis auszubilden. Wichtige Gründe für den Seitenwechsel sind Sicherheit und Geld. Der nicht ruhende Rentner Eser aber muss sich nach einem erfolgreichen Berufsleben nichts mehr beweisen. Anders ist es bei Leo Busch, einer ehemaligen Fernsehredakteurin mit eigener Talkshow im Nachrichtensender n-tv. Sie entschied im Alter von 45 Jahren, dass jetzt Schluss sein muss mit Journalismus. Bloß weg aus der Redaktion. Seit Januar ist sie Geschäftsführerin von Aperto Plenum, einer PR-Firma. Busch hatte das permanente Schnell-Schnell satt. Sie glaubt, dass Qualität vor allem in PR-Agenturen wertgeschätzt wird. „Bei den Sendern sitzen heute Nachrichtenredakteure, die an einem Tag drei Beiträge zu drei unterschiedlichen Themen zusammenschneiden.“
Das Gespräch mit ihr beginnt damit, dass Busch das böse P-Wort nur widerwillig benutzt. „Was wir machen, ist sicher auch ein Teil von PR. Aber in der aufgeklärten Medienwelt lassen sich nur wenige Menschen von Werbung ohne Mehrwert bezirzen. Deshalb geht es uns jetzt darum, Geschichten zu erzählen und Menschen mit Inhalten zu begeistern.“ Der böse Begriff „PR“ ist also out. Man muss allerdings dazusagen: Buschs Leute produzieren gerade schmeichelnde YouTube-Clips, in denen sie alle BundesministerInnen porträtieren – im Auftrag des Bundespresseamtes, der Propagandaabteilung der Regierung.
PR-Tante im Medienzirkus
Leo Busch spricht sanft und leise, fast bedächtig. Manche würden sagen: einlullend. Diese Zuschreibung wird ihr vielleicht nicht gerecht, aber sie spielt jetzt ihre Rolle im Medienzirkus: Leo Busch ist nun die PR-Tante, und Aufgabe von PR ist es, eine Interpretation von Wirklichkeit zu vermitteln. Wer in der Branche tätig ist und seinen Job erfüllt, der vermittelt idealerweise jene Wirklichkeit, die dem Auftraggeber am besten in den Kram passt.
Offenbar hat sich Busch gut eingefunden in dieser Branche der Interpretationshelfer. Hört man ihr zu, mag man beinahe glauben, dass alle bösen Meinungen über die PR naive oder gar dreiste Lügen sind. Reden kann sie ja, sonst wäre sie wohl kaum Moderatorin geworden. Aber Interpretationen von Wirklichkeit zu erschaffen, diese Kunst hat sie in den vergangenen Monaten anscheinend perfektioniert.
Sie hat die Rolle der Journalistin sogar so weit abgelegt, dass sie nach dem Interview von der taz verlangt, man möge ihr den kompletten Artikel vor Veröffentlichung vorlegen. Erst dann könne sie entscheiden, ob sie ihre Zitate freigebe. Busch war 25 Jahre Journalistin. Sie weiß, dass niemand, der sich ernsthaft Journalist nennt, dieser Forderung nachkommen wird. Sie fragt dann in einem späteren Telefonat auch nicht mehr danach.
Zurück im Studio am Brandenburger Tor, schwärmt jetzt auch eine Mitarbeiterin über diese tolle Kulisse: „Stellen Sie sich vor, Sie kommen als junger Student aus Stuttgart …“
Wenn nicht gerade ausgebildet wird, dürfen aber auch weiter Journalisten ran. Peter Hahne etwa wird fürs ZDF wie gehabt pastoral in die Kameras ölen. Und am Tag des Besuchs sitzen zwei alte Männer für Phoenix unter den Scheinwerfern und reden über die Ukraine.