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Archiv-Artikel

Ein kaltes Doppelspiel

Der Fall Kurnaz wirft Schatten auf die rot-grüne Menschenrechtspolitik: Die Regierung verdammte das Lager, blockierte aber Kurnaz’ Heimkehr

BERLIN/KARLSRUHE taz ■ Es ist ein politischer Skandal, dessen Dimension erst langsam deutlich wird: Murat Kurnaz hätte schon Ende 2002 freikommen können. Washington war bereit, ihn nach Deutschland zurückzulassen – doch die rot-grüne Bundesregierung lehnte ab. Zwar setzte sich Berlin in den letzten Monaten sehr für die Freilassung des Bremers mit türkischem Pass ein. Das ungeheuerliche Verhalten der Bundesregierung im Herbst 2002 aber wirft dunkle Schatten auf dieses humanitäre Engagement. Ihre Entscheidung hat einen jungen Mann, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, fast vier Jahre seines Lebens gekostet.

Für Kurnaz-Anwalt Bernhard Docke steht fest: „Die Regierung hat ein Doppelspiel betrieben.“ Über Monate fertigte das Auswärtige Amt die Familie in Bremen und ihren Anwalt mit der Auskunft ab, es könne leider in dem Fall nichts erreichen. Da der gebürtige Bremer nur einen türkischen Pass habe, wolle die US-Seite auch nur mit der Türkei darüber reden. Nach außen entstand der Eindruck, dass sich die Regierung kontinuierlich um Kurnaz’ Fall bemühte. Verschwiegen wurde, was bereits im Jahr 2002 wirklich passierte.

Noch im Januar dieses Jahres erklärte die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der FDP: „Die Situation von Murat Kurnaz im Besonderen, wie auch der Rechtsstatus der Gefangenen in Guantánamo im Allgemeinen wurde mehrfach hochrangig durch den damaligen Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, gegenüber den USA angesprochen.“ Anfang März kam dann heraus: Kurnaz hätte als einer der Ersten aus Guantánamo freigelassen werden können – hätte die deutsche Regierung nur grünes Licht gegeben. So jedenfalls berichtete es die Bundesregierung dem Parlamentarischen Geheimdienst-Kontrollgremium des Bundestags. Im Herbst 2002 sei die Freilassung „wegen seiner nicht feststellbaren Schuld sowie als Zeichen der guten Zusammenarbeit mit den [deutschen] Behörden geplant gewesen“, heißt es nach taz-Informationen im Bericht der Bundesregierung über die BND-Affäre – allerdings nur im geheimen Teil des Berichts, den nur wenige Parlamentarier zu Gesicht bekamen. Aus diesem Bericht geht auch hervor, dass die Bundesregierung die Verhandlungspartner in Washington offenbar wissen ließ, man habe kein Interesse an einer Rückkehr von Kurnaz nach Deutschland, sondern wolle ihn lieber in die Türkei abschieben lassen. Die Entscheidung der Bundesregierung stoße bei der US-Seite auf „Unverständnis“, heißt es dazu weiter im Bericht.

Der damalige Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt und heutige BND-Chef Ernst Uhrlau bestätigte wenig später im Zeit-Interview, die Regierung habe die Rückkehr nach Deutschland abgelehnt. Dürre Begründung: „Das Angebot war aus verschiedenen Gründen nicht realistisch.“ Rätselhaft bleibt, was die Bundesregierung damals zu ihrem Nein bewog: „Wir haben nicht leichtfertig entschieden“, beteuerte Uhrlau lapidar. Das wäre auch noch schöner gewesen. Nach einem undementierten Bericht des Spiegels hatte der damalige BND-Chef und heutige Staatssekretär im Innenministerium, August Hanning, Sicherheitsbedenken angemeldet. Welche Argumente damals wirklich das Veto auslösten, dazu schweigen die Ministerien bis heute.

Auf Anfrage der Linksfraktion betonte die Bundesregierung im Mai allerdings: „Die politische und juristische Bewertung des Falls durch die Bundesregierung hat sich nicht geändert.“ Sollte das heißen, eigentlich ist Kurnaz immer noch unerwünscht? Ebenfalls unklar ist bis heute, ob Außenminister Fischer von der Ablehnung des US-Angebots im Jahr 2002 wusste, ob er dies vielleicht gar mittrug. Das Auswärtige Amt will darüber keine Auskunft geben. Kein Wunder: Jede Konstellation wäre peinlich für Fischer, der sich später mehrfach für Kurnaz einsetzte.

Das Bundesinnenministerium setzte später sogar noch eins obendrauf. Während die rot-grüne Regierung im Betroffenheitston vorgab, ihr Mögliches für eine Heimkehr des Gefangenen zu tun, erließ das Innenministerium 2004 eine Einreisesperre gegen Kurnaz. An dieser hielt das Haus sogar noch Anfang dieses Jahres fest – die Rückreise des Bremers hätte am Flughafen enden müssen. Zur Begründung sagte eine Sprecherin Schäubles der taz im Januar: Von Kurnaz gehe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Die Einreisesperre werde bis Mai 2007 in Kraft bleiben. Erst als Docke intervenierte, hob das Ministerium die Sperre auf. „Es bleiben einige Altlasten zu klären“, sagt der Anwalt.

Denn fest steht: Niemand hat Kurnaz bisher eine Straftat nachgewiesen. Medienberichten zufolge wollten ihn deutsche Ermittler nach ihrer Befragung in Guantánamo nicht einmal mehr als Spitzel anwerben – weil Kurnaz die nötigen Kontakte zur islamistischen Szene fehlten. ASTRID GEISLER, CHRISTIAN RATH