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Archiv-Artikel

Zwei neue A-Klassen

VON BARBARA DRIBBUSCH

Die Bundesagentur für Arbeit wird in diesem Jahr einen Rekordüberschuss von 8,8 bis 9,6 Milliarden Euro erwirtschaften. Gründe für die erfreuliche Entwicklung der BA-Finanzen seien „weitere Erträge der Reformen der BA und die Konjunktur, die sich im Jahresverlauf unerwartet verbessert hat“, teilte BA-Finanzvorstand Raimund Becker gestern mit. Zugleich wies er Vorwürfe zurück, die Behörde spare auf Kosten der Arbeitslosengeld-II-Empfänger.

Der Überschuss soll unter anderem dafür verwendet werden, ab 2007 die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von derzeit 6,5 Prozentpunkte auf 4,5 Prozentpunkte des Bruttolohnes zu senken.

Unter die Herrschaft der BA fallen die Empfänger des Arbeitslosengeldes I. Das sind Leute, die vor dem Jobverlust länger sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren und die weniger als ein Jahr arbeitslos sind. In der Regel seien es „die marktnäheren Arbeitslosen“, sagt Olaf Möller, Sprecher der BA-Regionaldirektion Berlin-Brandenburg. Die etwas besser laufende Konjunktur verhelfe zuerst dieser Klientel zu einem Job, so Möller.

Die BA finanziert sich aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. Mehr Jobs bedeuten daher höhere Beitragseinnahmen. Allein deshalb kommen 1 Milliarde Euro mehr in die Kasse als geplant, hieß es gestern in Nürnberg.

Gleichzeitig rutschen weniger Erwerbslose als erwartet vom Arbeitslosengeld I in das Arbeitslosengeld II. Die Ausgaben für den sogenannten Aussteuerungsbetrag, der von der BA für diese Fälle zu zahlen ist, fallen daher niedriger aus als erwartet. Becker nahm dies als Beweis, dass Erwerbslose nicht einfach nur vom Arbeitslosengeld I in die Langzeitarbeitslosigkeit „verschoben“ werden. „Wir sparen nicht auf Kosten von Hartz IV“, meinte er.

Wer Arbeitslosengeld II bekommt, hat vorher nicht sozialversicherungspflichtig gejobbt oder ist länger als ein Jahr erwerbslos, oft trifft auch beides zu. Das sei „ein anderer Klientenkreis“ als die Bezieher von Arbeitslosengeld I, so Möller. Oft hätten diese Langzeiterwerbslosen keine Ausbildung oder diese liege schon Jahrzehnte zurück, nicht selten bestehe der Berufsweg aus Phasen der Arbeitslosigkeit, unterbrochen von Beschäftigungs- und Bildungsmaßnahmen.

Die Sozialleistung des Arbeitslosengeldes II, auch Hartz IV genannt, wird aus Steuermitteln bezahlt und fällt daher nicht in den Haushalt der BA, sondern in den Bundeshaushalt. Dessen Ausgaben für Hartz IV könnten in diesem Jahr schätzungsweise um bis zu 3 Milliarden höher liegen als geplant. Im Juli ist zwar auch der Anteil der Hartz-IV-Empfänger zurückgegangen, aber nur sehr geringfügig.

Dabei führen auch die flexiblen Beschäftigungsformen und neue sozialrechtliche Regelungen dazu, dass viele Erwerbstätige keinen oder einen zu geringen Anspruch auf Arbeitslosengeld I erwerben und daher im Falle des Jobverlustes auf Hartz IV angewiesen sind. So waren in Berlin ein Drittel der Neuzugänge von Hartz IV zuvor auf dem ersten Arbeitsmarkt erwerbstätig gewesen, es war ihnen aber nicht gelungen, die Voraussetzungen für ein existenzsicherndes Arbeitslosengeld I zu erwerben. Seit Januar dieses Jahres wurden die Bedingungen für den Bezug dieser Leistung verschärft. Auch wer nur in Teilzeit oder als Selbständiger mit Projektvertrag ackert, rutscht im Falle des Jobverlustes gleich in das Arbeitslosengeld II.

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